Concorde
Bewertung: 3 Punkt(e)Die Concorde fliegt nicht mehr. Na und? Wozu gibt es Waschmaschinen, wozu den Rausch der Geschwindigkeit im eigenen Badezimmer? Es ist kein minder erhabenes und berührendes Gefühl, wenn am Ende eines Waschgangs, nach ein, zwei Stunden des gemächlichen rhythmischen Rotierens, des ruhigen Wechsels von Umlauf und Stillstand, des gelegentlichen leisen Zischens und Pumpens und des zufriedenen Brummens das großartige Finale anhebt: Das Endschleudern. Und höre ich nur das letzte Abpumpen des Wassers, das dem Take-off vorangeht, stürme ich ins Bad, um den großen Augenblick nicht zu versäumen. Gespannt stehe ich mit gefalteten Händen vor der Maschine und vernehme das Klappern der Pumpe, die sich abschaltet. Die Luft scheint zu vibrieren und das Blut pocht bis zum Hals in jenem Moment des Schweigens, in dem sich die Maschine zu sammeln und auf ihren Einsatz zu konzentrieren scheint, der ihr alles abfordert, in dem sie ihr Innerstes nach außen kehren und sich ihr Herz aus dem Leibe brüllen will. Keine Tonnen an Kerosin wird sie dafür benötigen, mit nicht einmal vierzig Litern Wasser hat sie sich vorbereitet und ein paar bescheidene Wattstunden wird sie noch fordern, die durch das Labyrinth ihrer Spulen rasen werden und ihre kondensierte Kraft zum Leben erwecken. Da! Mit einem leisen Summen erwacht sie aus ihrer gesammelten Ruhe, das schnell in Stärke und Frequenz zunimmt. Die rotierende Trommel in ihrem Bauch unterstreicht die Beschleunigung mit einem dumpfen Donnergrollen. Bald schon geht das Summen in ein ohrenbetäubendes Pfeifen über und die brüllende Trommel überschreitet eilig den Punkt der Resonanzfrequenz mit dem Fußboden, in dem ein kurzes Erdbeben das ganze Bad erschüttert und ich unter mir eine Welle der Gewalt spüre. Eine Gänsehaut fährt mir über den Rücken, bevor sich das Mauerwerk wieder beruhigt, aber nur um dem höllischen Rasen und Sausen der Maschine noch mehr Raum zu geben. Längst schwingen alle ihre Wände, als würde sie jeden Moment bersten müssen und das elektrische und metallische Monstrum in ihrem Leib von sich schleudern. Vorsichtig wie zur Beruhigung und zum Trost legt sich die Hand auf das weiße Metall und wird augenblicklich von der Kraft erfasst, die es durchströmt. Ich kann nicht anders als die Augen zu schließen und mich erschöpft auf den Toilettendeckel zu setzen. Schon ziehen Fäden von Zirruswolken an mir vorüber, alles um mich herum wird kleiner und verschwindet in der Ferne und das tosende Pfeifen verwandelt sich in Musik. Bald schon habe ich die Flughöhe der Concorde überschritten, aber die Reise will kein Ende nehmen, ja, sie verlässt die Atmosphäre, kreuzt jede Erdumlaufbahn und schon sehe ich nur noch ferne Planeten und Sterne vor mir. Ja, nichts scheint uns mehr aufhalten zu können, mich und meine Waschmaschine, immer weiter und immer schneller, ja... Erst das Klacken der Trommelverriegelung weckt mich auf. Für einen Augenblick lege ich in der plötzlichen Stille den Kopf in meine Hände, bevor ich zum Schrank gehe und mein altes lächerlich gewordenes Quartettspiel »Die schnellsten Flugzeuge der Welt« in den Müll befördere.