Bürohutzel
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Am zweiten Tag begegneten wir dem Bürohutzel. Das war sicherlich nicht sein richtiger Name, aber ich nannte ihn so, weil die Bezeichnung treffend schien. Er war ein kleiner Mann mit tausend Falten in einem Gesicht, dass mein Mitleid auf besondere Weise herausforderte, und er schien von irgendwo aus den Tiefen des Gebäudes zu kommen. Wahrscheinlich war er schon über fünfzig und seinem Aussehen nach musste er all diese Jahre in einem Büro verlebt haben, einschließlich der Kindheit. Ich überlegte, wovon er sich wohl ernährte; Butterbrezeln und belegte Brötchen vermutlich, vielleicht ab und zu eine Original Wagner's Steinofenpizza. Ein anderes Getränk als Kaffee würde er wohl nicht vertragen und in freier Wildbahn, sagen wir in einem Wald, würde er, so dachte ich, wohl kaum länger als eine Minute überleben, weil er die Luft gar nicht atmen könnte.
Wir haben ihn aber bis jetzt nur dieses eine Mal gesehen. Ich würde ja zu gern mal mit ihm sprechen. Ob es überhaupt Menschen gibt, die das tun? Wahrscheinlich bewahren sie ihn im Keller auf; vielleicht können sie ihn im Sommer tagsüber kaum rauslassen, weil ihm das Tageslicht so schlecht bekommt.
Wenn man dann doch mal mit ihm redete, würde er wahrscheinlich von zu Hause erzählen, von seiner Frau und seinen Kindern, und von den Radtouren, die er sonntags macht und das er im Sommer gern im Gebirge wandern geht; Wenn da nur nicht der Bandscheibenvorfall letztes Jahr gewesen wäre und der viele Stress bei der drögen Büroarbeit, aber, würde er wohl sagen, man dürfe nicht klagen, es gehe jetzt ja schon wieder viel besser, nur, dass er sich eben schonen müsse; und wenn er erstmal im Ruhestand wäre, dann würde er sich einen Wohnwagen kaufen und seiner Frau für fünf Monate nach Skandinavien fahren...
Dann würde er seine Krawatte zurechtrücken und wieder in den Tiefen des Gebäudes verschwinden.