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Höflich schrieb am 24.9. 2006 um 13:52:26 Uhr über

Verfolgte

Heute wurde ich zu all meinem Unglück auch noch zum Verfolgten. Wie geschah dies? Nun, letztlich ist es auf meine Arbeitsamkeit zurückzuführen. Aber oft ist es eben gerade das Tugendhafte, was dem Aufrechten zum Verhängnis wird, man denke in diesem Zusammenhang nur an die zahlreichen Vergifteten im Zusammenhang mit dem aktuellen E-Coli-Skandal in den USA, wo der Genuß gesunden Spinats vor kurzem für zahlreiche Bürger das entre-billet für ein Leben auf der Dialysestation war. Aber ich schweife ab. Meine Tugendhaftigkeit und Arbeitsamkeit bestand heute darin, daß ich mich schon während des Vormittags hier in Berlin auf dem Schlossplatz vor der Ruine des Palastes der Republik als Volksredner betätigt habe. Ich kann nicht sagen, daß ich die Massen in meinen Bann gezogen hätte, aber ich hatte doch einigen Zulauf, eigentlich mehr als ich erwartet hatte, um ehrlich zu sein. Ich hatte natürlich ein Manuskript vorbereitet, denn die freie Rede ist leider meine Sache nicht, wie sie ja überhaupt nur sehr weniger, in dieser Hinsicht unstreitbar durch ein bestimmtes angeborenes Merkmal des Geistes bevorteilter Menschen Sache ist. Deshalb ist es auch so, daß ich hier nun die meiner Meinung nach strittigen Passagen im Wortlaut wiedergeben kann, auf daß sich jeder Leser ein Urteil darüber bilden kann, ob es rechtens gewesen ist, daß ich mit Steinen und Flaschen beworfen und danach gefangengesetzt und fast gelyncht wurde.

Hier die Auszüge, welche den Zorn der Zuhörer am Meisten rührten. Zu diesem Schluss komme ich deswegen, da es jene Passagen sind, während der das Gezeter der Menge am lautesten anschwoll. Nach der zweiten hier aufgeführten Passage, ohne daß meine Rede gar zu Ende gewesen wäre, brach im übrigen der Sturm los, der handgreifliche Zorn des Pöbels, dessen rohe Kräfte mich beinahe ums Leben gebracht hätten.

»Heute ist Sonntag! Ihr wisst was das heißt! KREISCH! Das heißt: die Asen rasen in den Vasen! KREISCH! Spartakus ist vom Kreuze geklettert, auf das ihn der Crassus hat nageln lassen! Hesiod dichtet wieder, er dichtet dieser Stadt ihre Grabesrede nämlich! Keine Lobeshymnen, Leichenrede, Epitaph. Für all euch Alkoholiker. Im Supermarkte habe ich heute einen Mann mitte dreißig gesehen, der wie ein Roboter lief, weithin nach Urin roch und sich eine Flasche Weinbrand gekauft hat! Und ich dachte, MIR ginge es schlimm? Aber das ist eure Schuld, Berliner! Es ist nicht die Schuld der Unternehmer, die uns entlassen, oder der Arbeitslosenversicherungsstellen, die uns demütigen, es sind eure muffeligen Fressen und euer....AAAAAAH....Die Asen sitzen am Frühstückstisch und brüllen scheußliche Kommandos: ' die Wurst', 'die Finger putzt man sich nicht an der Tischdecke ab' und vor allem: 'willst du ein 3-Minuten oder ein 5-Minuten-Ei?'. SAPPERLOT! KREISCH

»HITLER hat diese Stadt gehaßt! Nun, Hitler war ein Irrer, das mag sein, ein Wahnhaft Verblendeter, aber hierin, in seinem Hass, mag er recht gehabt haben. Horaz! Vergil! Ennius! AAAAH, ICH BIN VOM GEIST DURCHDRUNGEN. Heinzelmännchen haben euch gewißlich die Schädeldecke geöffnet um darin unrechte Wartungsarbeiten vorzunehmen. Sie wurden von der Berliner Behörde bezahlt, die sich um den Fremdenverkehr kümmert. Woher soll ich wissen, welches Amt das hier ist, interessiert mich einen feuchten Dreck, im Übrigen. Einen Ratschlag habe ich zudem noch: schlagt eure Kinder und seht Fern, aber arbeitet nicht, Spartakus ist vom Kreuze hinabgestiegen. SCHLAGT EURE KINDER, ZERFETZT SIE UND SEHT FERN!«.

Das war augenscheinlich zuviel des Guten. Die sanftmütigen Familienväter in der Menge gerieten in einen Zornestaumel, während ich immer wieder brüllte, daß sie ihre Kinder schlagen sollten, bald flogen die Kaffeetassen und der Mob hetzte auf mich los, so daß ich am Ende nur, ich erwähnte es bereits, durch glückliche Fügung entkommen konnte. Dieser Sonntag wurde mir durch jene Ereignisse hochkarätig verdorben.


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