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wuming schrieb am 3.5. 2003 um 16:27:42 Uhr über

Strom

Das Kreuz mit dem Ökostrom

Das Wachstum basiert kaum auf Nachfrage.
Obwohl sich in Umfragen eine Mehrzahl der
Deutschen für Ökostrom ausspricht, hat im
sechsten Jahr nach der Marktöffnung noch nicht
einmal ein halbes Prozent der Kunden den
Stromanbieter gewechselt

"Guten Abend, mein Name ist Lührs, und ich komme von
der Lichtblick AG - wir verkaufen umweltfreundlichen
Strom." Solch eine unerwartete Begegnung der
freundlichen Art an der eigenen Wohnungstür ist in
jüngster Zeit keine Ausnahme mehr. Besonders in
Hamburg und Berlin wird der Kampf um Stromkunden
mit immer härteren Bandagen geführt. Spätestens wenn
am selben Abend noch eine fahrende Werbetafel mit der
Aufschrift »Yello Strom hat die Preise nicht erhöht« am
Fenster vorbeizockelt, ist dem umworbenen Kunden klar:
Der deutsche Strommarkt ist in Bewegung. Nur, was
tun? Trotz aller Werbung wissen die meisten diese
Frage nicht zu beantworten. Ökostrom oder Billigstrom?
Die Mehrzahl der Verbraucher schließt verwirrt die
Wohnungstür und entscheidet sich einfach, nichts zu tun.

Besonders betroffen von dieser Passivität sind die
Anbieter von so genanntem »grünen Strom« aus
regenerativen Energiequellen. Denn obwohl sich in
Umfragen eine Mehrzahl der Deutschen für Ökostrom
ausspricht, ist im Jahr sechs nach der Marktöffnung noch
nicht einmal ein halbes Prozent der Kunden zu Anbietern
von Ökostrom gewechselt. Angesichts immer neuer
Meldungen über einen angeblichen »Ökostrom-Boom«
muss diese Zahl zunächst verwirren. Schließlich wurde
nach Angaben des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft
(VDEW) 2001 fast drei Viertel mehr grüner Strom
produziert als im Jahr davor. Und nach Angaben des
Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative
Energien (IWR) ist allein der deutsche Windstrommarkt
im vergangenen Jahr um 20 Prozent neu installierte
Leistung gewachsen.

Tatsache ist, dass die im Erneuerbare-Energien-Gesetz
(EEG) geregelte Zwangsabnahme von ökologisch
produziertem Strom durch die
Energieversorgungsunternehmen dazu geführt hat, dass
immer mehr Strom aus regenerativen Quellen erzeugt
wird. Beobachter übersehen dabei jedoch häufig, dass
sich dieses dynamisch wachsende Angebot auf der
Nachfrageseite nicht widerspiegelt: Laut VDEW bezieht
heute nur jeder 150. deutsche Haushalt seinen Strom
aus erneuerbaren Energiequellen wie Sonne, Wind oder
Wasserkraft. Dabei könnte der Markt 50-mal größer
sein, schätzt der Verband. Im Untersuchungsjahr seien
immerhin 36 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom aus
regenerativer Energie erzeugt worden. Die 300.000
Ökostromkunden nahmen in dieser Zeit jedoch lediglich
rund 700 Millionen kWh grünen Strom ab. Unwissentlich
beziehen immer mehr Verbraucher naturverträgliche
Energie. Trotzdem zahlen nur wenige die höheren Tarife
der Ökostromer.

Lothar Block vom Berliner Energieversorger Bewag
fasst das Dilemma zusammen: "Auch wenn Umfragen
zeigen, dass zwei Drittel der Kunden die Umwelt schonen wollen, liegt der Anteil derer, die dafür auch
mehr bezahlen wollen, bei unter einem Prozent." Große
Versorger bieten folglich selbst gar keine echten
Ökostromtarife an, sondern setzen auf Mischungen wie
»Mix Power«, die auch Atom- oder Kohlestrom enthalten.
»Das Interesse an Ökostrom ist sehr verhalten«, bestätigt
Dirk Ommeln, Sprecher der Energie
Baden-Württemberg (EnBW), die ihren wenig gefragten
»Umwelttarif« auf ihrer Internetseite erst gar nicht feil
bieten.

Immerhin haben nach Studien des Marktbeobachters
Greenprices ein Viertel der Versorger mindestens ein
grünes Stromprodukt im Angebot, insgesamt
beabsichtigen 80 Prozent der Versorger, ein grünes
Produkt anzubieten. Auch die »Großen« offerieren über
ihre Beteiligungen, etwa an Stadtwerken, verschiedene
Tarife für mehr oder weniger grünen Strom. Doch
Angebot erzeugt nicht notwendigerweise Nachfrage, und
für die meisten Anbieter haben sich die Erwartungen aus
dem Jahr 1998 nicht erfüllt. "Damals gab es ja irre
Prognosen", weiß Ann-Christin Mengs vom Hamburger
Ökostromanbieter Lichtblick zu berichten. "Die
Marktforscher gingen damals davon aus, dass jeder,
den man anspricht, gleich wechseln möchte."

Eine krasse Fehlkalkulation. Bewag-Manager Block
erinnert sich: "Als wir im November 1999 den
ÖkoPur-Tarif mit massiver Werbung an den Markt
gebracht haben, haben wir in kurzer Zeit 6.000 Kunden
akquiriert." Bald darauf stagnierte das Geschäft - trotz
Werbekampagnen. Auch beim Düsseldorfer
Ökostrom-Anbieter Naturstrom, der derzeit 11.500
Privatabnehmer hat, geht es »nur zäh voran«, wie der
Vertriebsleiter Oliver Hummel berichtet. "Anfangs war
das Wachstum sehr stark, aber das Potenzial ist
begrenzt", analysiert er. Ein wenig besser läuft es beim
Mitbewerber Lichtblick, der seit 1998 bereits 80.000
Kunden gewinnen konnte. "Der Anstieg ist
kontinuierlich", sagt Mengs. Insgesamt sei die
Wechselquote aber eher »traurig«.

Das soll sich bald ändern: Nachdem im April die
Verbändevereinbarung für den Gasmarkt scheiterte und
Umweltminister Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen)
bereits zuvor die Einführung einer Aufsichtsbehörde für
den Energiemarkt angekündigt hatte, wittern die
Ökostrom-Anbieter noch einmal Morgenluft. Bislang ist
Deutschland das einzige EU-Land ohne eine solche
Behörde. Die Grünstrom-Produzenten erhoffen sich nun
von der neuen Regulierungsstelle eine Senkung der
Durchleitungsgebühren. Sie teilen größtenteils die
Ansicht von Edda Müller, Vorstand des
Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, die die
»missbräuchlich überzogenen Nutzungsentgelte« der
Stromnetzbetreiber dafür verantwortlich macht, dass
Ökostromproduzenten ihr Produkt nicht zu
konkurrenzfähigen Preisen anbieten können.

Ob die Marktöffnung die Wechsel-Trägheit der Kunden
allerdings durchbrechen kann, scheint fraglich.
VDEW-Daten zeigen, dass die durchschnittliche
Stromrechnung eines Drei-Personen-Haushaltes im
vergangenen Jahr um zwölf Prozent gestiegen ist.
Vorher hatten die großen Versorger einen Wechsel
durch Nachlässe jahrelang unattraktiv gemacht. Nun
aber hoben selbst erklärte Billigheimer wie Yello die
Preise an - ohne dass sich damit die Quote der
Strom-Wechsler nennenswert erhöht hätte. Ann-Christin
Mengs von Lichtblick hält dafür eine entwaffnend simple
Erklärung bereit: »Strom ist eben einfach unsexyDa
die Ausgaben für Elektrizität im Schnitt nur 1,5 Prozent
der Haushaltsausgaben einer Familie ausmachen,
haben die meisten Kunden offenbar weiterhin die
Einstellung, die der »Naturstrom«-Verkäufer Hummel
beobachtet hat: "Der Strom kommt eben aus der
Steckdose. Fertig.» « HILMAR POGANATZ

www.greenprices.de; www.strom.de;
www.energie-vision.de

taz Nr. 7044 vom 3.5.2003, Seite V, 219 Zeilen
(TAZ-Bericht), HILMAR POGANATZ


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