Code für neuronale Repräsentation von Wörtern entschlüsselt
Florian Rötzer 22.01.2010
Kalifornische Wissenschaftler haben die Grundlagen des Wörterbuchs des Gehirns entdeckt und können aus neuronalen Aktivitätsmustern erkennen, an welches Wort eine Person denkt
Wissenschaftler von der kalifornischen Carnegie Mellon University haben herausgefunden, wie das Gehirn gelesene Substantive neuronal repräsentiert. Mit der daraus entwickelten neurosemantischen Theorie waren sie auch in der Lage, anhand von funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) aus der neuronalen Aktivität zu erkennen, um welches Wort es sich handelt. Das Wörterbuch des Gehirns ist relativ einfach organisiert.
Für ihre Studie, die in dem Open Acces Journal PloS One erschienen ist, haben die Wissenschaftler bei 11 Versuchspersonen mittels fMRT die neuronale Repräsentation von Wörtern für 60 Objekte aus 12 Kategorien wie Körperteile, Möbel, Autos, Gebäude, Insekten oder Werkzeuge untersucht. Wenn ein Wort - jeweils für 3 Sekunden - präsentiert wurde, sollten die Versuchspersonen aktiv an die Eigenschaften denken, mit denen das Objekt verbunden ist. Jedes Wort wurde den Versuchspartnern sechsmal gezeigt. Vor dem Scan sollten sie bereits jedem Objekt eine Reihe von Eigenschaften oder Zusammenhänge zuordnen, für Schloss beispielsweise kalt, Ritter und Stein. Die Versuchspersonen konnten sich die Eigenschaften frei ausdenken, Konsistenz war nicht gefragt, es konnten also jedes Mal andere Assoziationen sein.
Mit der Analyse des durch dieses kleine Wörterbuch gebildeten Raums neuronaler Codierungen, die durch Maschinelles Lernen gefunden wurden, stellte sich heraus, dass das Gehirn die Wörter in 3 grundlegende Bedeutungsfelder einbettet:
manipulation: Wie man mit den Händen mit einem Objekt umgeht, also wie man es hält, schüttelt, dreht etc
eating: Wie es mit Essen bzw. Trinken verbunden ist, also ob man hinein beißt, ob man es schluckt, wie es schmeckt etc., auch Objekte wie Glas oder Tasse, die mit Ernährung verbunden sind
shelter: Wie es mit Unterkunft oder einem geschützten Raum verbunden ist (Gebäude, Fahrzeuge, aber auch Wörter wie Tür, Schlüssel oder Klo
Diese 3 Faktoren sind jeweils in 3-5 unterschiedlichen Orten (Voxel-Cluster) im Gehirn und in insgesamt 16 Voxel-Clustern repräsentiert – und zwar bei allen Versuchspersonen auf ziemlich ähnliche Weise. Das Wort »Wohnung« aktiviert beispielsweise 5 Orte, die Unterkunft oder Schutz codieren, das Wort »Hammer« aktivierte den sensorischen Motorkortex, dem Gehirn geht es dabei also vorwiegend um das Halten des Hammers. Als vierter Faktor ist offenbar die Wortlänge für das Gehirn ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, das im primären visuellen Kortex codiert wird. Es ist eine visuelle Eigenschaft, weil die Wörter gelesen werden. Insgesamt wurden für alle 60 Wörter 80 stabile Voxel gefunden.
Voxel-Cluster für die vier Faktoren. Bilds: PLos One
Interessant ist, dass mit Verfahren des Maschinenlernens auch umgekehrt aus dem Muster der aktivierten neuronalen Strukturen erkannt werden kann, an welches der 60 Worte die Versuchspersonen denken. Die Genauigkeit ist zwar bei den Personen unterschiedlich und liegt durchschnittlich bei 72 Prozent, bei zwei Versuchspersonen stieg die Vorhersagewahrscheinlichkeit sogar auf 84 Prozent. Würde man zufällig raten, läge die Wahrscheinlichkeit bei 50 Prozent. Die Identifizierung der von Versuchspersonen gelesenen Wörter aus dem neuronalen Code kann auch zwischen unterschiedlichen Versuchspersonen erfolgen, indem aus der semantischen Faktorenanalyse, die beispielsweise mit den Daten von 10 Personen gewonnen wurde, das neuronale Muster der 11. Versuchsperson »abgelesen« werden kann, immerhin mit einer Genauigkeit von 0,72 Prozent.
Überdies konnten die Wissenschaftler mit dem Programm auch den neuronalen Code von unbekannten Wörtern errechnen. Eine zweite Gruppe von Versuchspersonen hatte die Liste mit den Wörtern nach den gefundenen Faktoren bewertet. Das Programm, das an 58 Wörtern trainiert wurde, konnte aufgrund dieser Faktorenanalyse dann vorhersagen, wie die neuronalen Repräsentationen etwa von Karotte oder Wohnung aussehen müssten. Die Übereinstimmung des vorhergesagten Musters mit dem Muster, das mit fMRT bei den 11 Versuchspersonen gemessen wurde, ist mit 80,1 Prozent überraschend hoch.
Gemessene und vorhergesagte Scans für »Karotte« und »Unterschlupf«. Bild: PLoS One
Die Wissenschaftler machen natürlich selbst auf die vielen Beschränkungen durch die kleine Auswahl an Wörtern aufmerksam. So seien beispielsweise nur Substantive von zählbaren Objekten wie Äpfel, aber nicht solche von Massen wie Milch oder Sand verwendet worden, die man nicht mit Händen greifen kann. Es wurden auch keine Substantive einbezogen, die mit menschlichen Wesen (Person, Mann/Frau, Freund/Freundin) zu tun haben. Hier würden sicherlich einige weitere Faktoren hinzukommen. Auch abstrakte Substantive wie Ärger oder Unschuld waren nicht einbezogen worden. Ganz generell gebe es weitere semantische Faktoren. Die drei semantischen Faktoren fanden sich in allen Gehirnen und sind daher wohl bei dieser Auswahl die dominanten. Ausgeschlossen wurden Aktivitätsmuster, die sich nur in einigen Hirnen fanden und andere Aspekte abdecken. Die visuellen Eigenschaften des Objekts spielen – abgesehen von der Länge des Worts – keine Rolle, so dass man davon ausgehen kann, dass Wörter und Bilder von unterschiedlichen Arealen verarbeitet werden.
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