Loras Weg zur Vorlesung führt an einer Ruine vorbei. An einem Freitag im Januar geht sie über den verschneiten Campus der Medizinischen Universität Sofia. Die 23-Jährige trägt Bommelmütze und einen bunten Schal, ihre dunkelbraunen Haare hat sie offen. Aus ihrer Tasche lugt ein weißer Arztkittel. Sie kommt an dem alten Unigebäude vorbei, das vor mehr als drei Jahren abgebrannt ist: Die verbleibenden Fensterscheiben sind eingeschlagen, die Mauern mit Graffiti besprüht, es ist ein Gerippe ohne Dach. Was für ein Gebäude es mal war, weiß Lora nicht. Auch eine Kantine hat die Universität inzwischen nicht mehr. Zu Beginn ihres Studiums gab es noch eine, sagt Lora. Das Essen sei furchtbar gewesen.
Neben dem Krankenhausparkplatz zeigt Lora auf zwei Hochhäuser im Rohbau. Hier soll ein Kinderkrankenhaus entstehen. Bulgarien sei das einzige europäische Land ohne nationale Kinderklinik, erklärt sie. Sie öffnet die Tür zum Universitätskrankenhaus. Dort ist am Freitagmittag viel Betrieb. Lora geht graue Treppenstufen hinauf zur Vorlesung im vierten Stock. Sie kommt an der Kardiologie, der Neurologie und dem Augenzentrum vorbei. Die Universitätsklinik in Sofia ist verhältnismäßig gut ausgestattet. Hier studiert Lora Medizin, noch zwei Jahre. Sobald sie ihren Abschluss hat, will sie weg aus Bulgarien, nach Deutschland.
Weil so viele Junge gehen, droht das Rentensystem zusammenzubrechen
Bulgarien ist ein Auswanderungsland und das ärmste Land der EU. Zwischen 1985 und 2011 ist die bulgarische Bevölkerung um knapp 20 Prozent geschrumpft. Expertinnen gehen davon aus, dass Migration die Hauptursache dafür ist. 66.872 Bulgaren sind nach Zahlen des Bundesamts für Migration alleine zwischen 2011 und 2017 nach Deutschland eingewandert. Und es kommen viele Ärztinnen und Ärzte: Nach Angaben der bulgarischen Ärztekammer verließen im vergangenen Jahr 348 Ärzte das Land. Zwischen 2015 und 2018 waren es insgesamt 1.692 bulgarische Ärzte. Zurück bleiben die Alten und Kranken, die schlimmstenfalls nicht richtig versorgt werden können. Außerdem droht das Rentensystem zusammenzubrechen.
Im Vorlesungsraum setzt Lora sich auf einen schwarz gepolsterten Plastikstuhl, klappt das integrierte Tischchen herunter und begrüßt ihre Freundinnen. Fast alle Plätze sind besetzt. An der Wand hängen zwei vergilbte Medizinplakate, die Hauterkrankungen zeigen. Bevor es losgeht, betreten drei junge Assistenzärzte den Raum und richten den Beamer aus. Vom Schrank holen sie weiße Kartons als Unterlage, experimentieren, bis die Höhe des Beamers stimmt.
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