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mcnep schrieb am 14.10. 2009 um 20:17:59 Uhr über

Jammerthal

Es ist ein Reis entsprungen
Aus einer Wurzel zart,
Wie als die Alten sungen;
Von Jesse kam die Art
Und hat ein Blümlein bracht
Mitten im kalten Winter
Wohl zu der halben Nacht.

Das Reislein, das ich meine,
so uns das Blümlein bringt,
Maria ists, die Reine,
Von der Jesaias singt;
Nach Gottes ewgem Rath
Hat sie ein Kind geboren
Und bleibt doch reine Magd.

Das schreibt uns ohne Mängel
Lucas mit treuer Hand,
Wie Gabriel der Engel
Vom Himmel ward gesandt
Zu einer Jungfrau rein,
Die Gott sich auserwählte,
Sie sollt ihm Mutter sein.

Der Engel unverdroßen
Fuhr in der Juden Land
Gen Nazareth; verschloßen
Marien er da fand
Im ihrem Kämmerlein.
Er sprach sie an so freundlich:
"Gegrüßt sei, Jungfrau rein,

'Du bist voll aller Gnaden,
Der Herr will mit dir sein,
Hoch über aller Frauen
Will er dich benedein."
Die edle Jungfrau zart,
Von dieses Engels Grüßen
Wie sie erschrocken ward!

»Du sollst dich nicht entsetzen
Sprach er, "O Jungfrau schon!
Mein Wort laß dich ergetzen,
Ich komm aus Himmels Thron,
Bring frohe Botschaft dir.
Du hast bei Gott Genade
Gefunden, glaube mir."

"Ein Kindlein wirst du tragen
In deinem keuschen Leib,
Davon die Schriften sagen,
Du überselig Weib!
Sein Nam ist Jesus Christ:
Derr Herr will ihm verleihen
Seines Vaters Davids Sitz."

Da sprach die Jungfrau reine
Gar züchtig mit Verstand:
"Wie soll mir das geschehen,
Die keinen Mann erkannt?"
Der Engel sprach zu ihr:
"Dies Wunder wird verschaffen
Der Heilge Geist an dir.

Es wird überschatten
Des Allerhöchsten Kraft
Und unverletzt bewahren
Deine reine Jungfrauschaft,
Denn dieses Kindlein schon,
Das von dir wird geboren,
Ist Gottes ewger Sohn."

Da sprach mit Freud und Wonne
Die edle Jungfrau rein,
Als sie vernahm, sie solle
Des Herren Mutter sein,
Gar willig, unverzagt:
"Ich bin des Herren Dienerin,
Mir g'scheh wie du gesagt."

Aus heilgen Geistes Kräften
Maria bald empfieng
Den ewgen Himmelsfürsten:
Schau an das Wunderding!
Neun Mond er bei ihr war;
Sie wurde Gottes Mutter,
Bleibt Jungfrau immerdar.

Wohl zu denselben Zeiten
Der starke Fürst und Held
Augustus, Römscher Kaiser,
Beschrieb die ganze Welt,
Den Zins von Allem nahm,
Da Joseph mit Maria
Auch hin gen Bethlem kam.

Herbergen waren theuer,
Sie funden kein Aufhalt
Als eine alte Scheuer;
Da war die Luft gar kalt.
Wohl in derselben Nacht
Marie gebar den Fürsten,
Der Frieden hat gebracht.

Den Hirten bei den Schafen
Erschien ein Engel klar:
Ihr sollt jetzund nit schlafen,
Das sag ich euch fürwahr
Von einem Kindelein,
Jetzund wird es geboren
Von einer Jungfrau rein.

Die Wahrheit ich verkünden,
Zu Bethlem ziehet ein,
Ein Kindlein werdt ihr finden
Gelegt in Tüchelein,
Wol in ein Kripp gelagt.
Die Nacht die war so klare,
Als wärs der helle Tag.

Lob, Ehr sei Gott dem Vater,
Dem Sohn und heiigen Geist!
Maria, Gottes Mutter,
Dein Hülf an uns beweis
Und bitt dein liebes Kind
Dass er uns wöll behüten,
Verzeihen unser Sünd.

Lob, Ehr sei Gott dem Vater,
Dem Sohn und heilgen Geist;
Maria, Gottes Mutter,
Auch deine Hülfe leist
Und bitt dein Kindelein,
Daß Gott durch seine Güte
Uns gnädig will verzeihn.

Wir bitten dich von Herzen,
Du edle Königin,
Bei deines Sohnes Schmerzen,
Wenn wir einst fahren hin
Aus diesem Jammerthal;
Du Wollest uns geleiten
Bis in der Engel Saal.

So singen wir all' »AMEN
Das heißt: "Nun werd' es wahr,
Daß wir begehrn allsammen:"
O Jesu, hilf uns dar
In deines Vaters Reich!
Darin wolln wir dich loben:
O Gott, uns das verleih!



Köln, erstmals gedruckt 1599. Immer wieder wurden im 17. Jahrhundert Strophen angefügt, so dass insgesamt mindestens 28 bekannt sind. Unabhängig vom konfessionellen Sinngehalt ein sehr anrührendes Stück Volksdichtung.




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