Schäuble und der Überwachungsstaat
Reisepass mit Fingerabdruck, belauschter Geschlechtsverkehr - geht es um die Sicherheit der Bürger, will Deutschland alles nutzen, was technisch möglich
ist. Tilman Steffen gibt einen Überblick.
Die Personaldokumente von Johannes Melzel laufen zwar Ende April ab, einen Reisepass hat der 39-Jährige jedoch nicht mehr beantragt. «Zu teuer, und außerdem:
Mein Gesicht gehört mir», sagt der Berliner. Der Grund: Schon seit 2005 speichert der Bund in dem Chip des maschinenlesbaren Dokuments auch die individuellen
Gesichtsmerkmale des Inhabers. Und ab November wollen die Meldeämter dem Bürger neben rund 60 Euro auch noch einen Fingerabdruck abnehmen, wenn er einen
Pass haben will. Diese Informationen soll nach Schäubles Willen künftig auch bei der Behörde gespeichert sein. Melzel will nicht Teil dessen sein. «Auch
mit dem Ausweis kommt man ja fast überall hin.»
Der Staat hortet immer mehr Daten seiner Bürger. Eine «Volksverdatung» droht, wie die Kritiker von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble meinen. Bürger
wie Melzel wollen sich der Kontrollwut der Sicherheitsbehörden entziehen, soweit das überhaupt noch möglich ist. Denn der «Wolfgang-Katalog» der Sicherheitsgesetze,
der in diesen Wochen konkrete Formen annimmt, lässt kaum einen Bereich unberührt.
Innenpolitiker, die Schäuble lange kennen, halten ihn mittlerweile für «schlimmer als Schily». Unter dem Eindruck der Terroranschläge des 11. September
hatte schon der Innenminister der rot-grünen Bundesregierung sich zum Hardliner entwickelt und mit den zwei Teilen seines «Otto-Katalogs» die Kompetenzen
der Sicherheitsbehörden stark ausgeweitet. Parallel ließ der Ex-Grüne das Zuwanderungsrecht modifizieren.
Unter dem Eindruck einer neuen Terrordrohung gegen Deutschland hatten Koalitionspolitiker bereits Mitte März angekündigt, sämtliche sicherheitsrelevanten
Gesetze auf ihre Tauglichkeit überprüfen zu wollen. Islamisten hatten Deutschland vor rund drei Wochen in einem deutsch untertitelten Internet-Video erstmals
konkret Anschläge angedroht, sollte die Bundeswehr nicht aus Afghanistan abziehen.
Nun wird Schäuble konkret. Letztes Wochenende hieß es, mit dem Koalitionspartner sei er sich darüber einig, dass er dem Druck der Polizeien, Ermittler und
Geheimdienste nachgibt und ihnen erheblich mehr Freiraum bei ihrer Arbeit gibt als bisher. Zwar regte sich mittlerweile Widerstand, nicht nur in der naturgemäß
kritischen Opposition, sondern auch in der SPD. Doch selbst Bundesdatenschützer Peter Schaar hatte sich etwa einer Nutzung der Mautdaten für die Strafverfolgung
nicht grundsätzlich widersetzt.
Die darf die Maut-Firma Toll Collect derzeit zwar nur speichern, um den Spediteuren die Maut in Rechnung zu stellen. Die Information, welcher Lkw wann wo
entlang fuhr, sind aber nun in den Rechnern von Toll Collect nun einmal vorhanden. Wofür man sie nutzt, ist nur noch eine Frage der Rechtsgrundlage. Ist
Melzlers Fingerabdruck einmal in der Datenbank der Meldebehörde elektronisch erfasst, kann jede Polizeidirektion der Bundesrepublik ihn mit Spuren an den
Tatorten des Landes abgleichen. Es braucht nur ein Gesetz dafür.
Sind diese Befürchtungen nicht überzogen? «Es reicht nicht, zu sagen, ich bin ja ein friedfertiger Bürger, der sich ja nichts zuschulden kommen lässt»,
sagt Melzler. Denn die Datenfülle schafft die Voraussetzung dafür, dass bei Straftaten jedermann verdächtig ist. Wird etwa in einem Nahverkehrbus nächtens
ein Fahrgast von Kriminellen zusammengeschlagen, nimmt die Polizei Fingerabdrücke am Tatort. Dann gerät jeder auf die Bildschirme der Ermittler, der in
dem Fahrzeug seit der letzten Reinigung Halte-Stangen oder Sitzlehnen berührte. Auch Melzler, wäre er in dieser Zeit mit ebendiesem Bus unterwegs gewesen.
Doch damit längst nicht genug. Werden Schäubles Pläne wahr, reicht künftig ein Anfangsverdacht, und das Bundeskriminalamt darf Rasterfahndungen durchführen.
Dieses Instrument durften bisher nur Strafverfolger anwenden, wenn sie einem Verbrecher auf die Spur kommen wollten. Landespolizeien durften sie nutzen,
um Gefahren abzuwehren, also etwa Menschen zu ermitteln, die Anschläge planen. Um bundesweit fahnden zu können, mussten sie das BKA beauftragen. Künftig
soll das BKA auch von sich aus die Daten rastern dürfen. Das Prinzip: Die Fahnder verknüpfen Daten aus verschiedenen Dateien miteinander und vergleichen
sie, um die Gesuchten zu finden. Bereits realisiert ist dies seit April in der Anti-Terror-Datei die Daten von 38 deutsche Behörden zusammenfasst.
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