Die Erdbeschleunigung, auch Erdschwerebeschleunigung oder Erdschwere, ist die Schwerebeschleunigung (auch Fallbeschleunigung oder Ortsfaktor) der Erde. Sie gibt an, welcher Beschleunigung eine Probemasse im erdfesten Bezugssystem beim freien Fall im Erdschwerefeld unterliegt. Ihr Wert g variiert wegen Zentrifugalkraft, Erdabplattung und Höhenprofil regional um einige Promille und beträgt ungefähr ≈ 9,81 m/s2.
1901 wurde auf der dritten Generalkonferenz für Maß und Gewicht ein Standardwert, die Normfallbeschleunigung, auf gn = 9,80665 m/s2 festgelegt, ein Wert der sich schon in verschiedenen Landesgesetzen etabliert hatte und der Definition technischer Maßeinheiten dient (DIN 1305, siehe Kilopond). Grundlage waren (aus heutiger Sicht überholte) Messungen von G. Defforges, Service Géographique de l’Armée, welche zu einem Wert für 45 Grad Breite, Meereshöhe extrapoliert wurden. Aufgrund der später entdeckten Schwereanomalien gibt es keinen einheitlichen Wert auf einem Breitengrad. Dementsprechend ist die Normfallbeschleunigung nicht als Erdbeschleunigung eines bestimmten Ortes oder als ein irgendwie berechneter Mittelwert definiert, sondern eine Festlegung.[1][2]
Inhaltsverzeichnis
1 Terminologie
2 Ortsabhängigkeit
2.1 Höhenabhängigkeit
2.2 Deutsches Hauptschwerenetz 1996
3 Messgenauigkeit
4 Siehe auch
5 Weblinks
6 Literatur
7 Einzelnachweise
Terminologie
Mit Erdbeschleunigung ist fast immer die Erdschwerebeschleunigung gemeint. Von der Wortwahl her könnte sie unter Umständen mit der Zentripetal- oder einer Tangentialbeschleunigung der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne verwechselt werden.
Die Bezeichnungen Erdanziehung und Erdschwere können sich auch auf eine Kraft statt eine Beschleunigung und auch nur auf die Gravitation beziehen.
Ortsabhängigkeit
Schwerefeld der Erde im Südpolarmeer
Da die Erde keine Kugel, sondern annähernd ein Ellipsoid ist und zudem rotiert, hängt die Erdbeschleunigung von der geographischen Breite und zusätzlich von der Höhe über dem Meeresspiegel ab. An den Polen ist ein Körper dem Schwerpunkt näher als am Äquator, und zum Äquator hin macht sich zunehmend die aufgrund der Eigenrotation der Erde dem Schwerefeld der Erde entgegenwirkende Fliehkraft bemerkbar. Dies lässt sich in Abhängigkeit von der Breite mit einer Normalschwereformel berechnen.
Weitere Abweichungen, sogenannte Schwereanomalien, sind auf die Strukturen unterschiedlicher Dichte im Untergrund zurückzuführen. Aus der genauen Vermessung der Erdbeschleunigung kann man deshalb Rückschlüsse auf Strukturen in der Erdkruste sowie deren Veränderungen ziehen (siehe Geoid).
2013 wurde ermittelt, dass die Erdbeschleunigung mit 9,7639 m/s2 auf dem Nevado Huascarán am geringsten ist.[3][4]
Höhenabhängigkeit
→ Hauptartikel: Schweregradient
Abnahme von g mit zunehmender Höhe
In der Nähe der Erdoberfläche nimmt g um etwa 3,1 µm/s2 pro gestiegenem Meter ab. Für größere Höhen wird die Abnahme von g(r) mit dem newtonschen Gravitationsgesetz abgeschätzt (siehe Diagramm).
In niedrigen Satellitenhöhen von 300 bis 400 km nimmt die Erdbeschleunigung um 10 bis 15 % ab, in 5000 km (Lasersatellit LAGEOS) ca. 70 %. In großen Höhen wird sie keinesfalls null, sonst würden hochfliegende Satelliten geradlinig davonfliegen. Deren Besonderheit ist der fortgesetzte freie Fall; ohne Luftwiderstand schlügen sie nie auf der Erdoberfläche auf, weil ihre Flugbahn einer Keplerellipse folgen würde.
Deutsches Hauptschwerenetz 1996
Kennzeichnungsplakette des Deutschen Schwerenetzes 1962
In Deutschland ist die ortsabhängige Erdbeschleunigung im Deutschen Hauptschwerenetz 1996 (DHSN 96) festgehalten, welches eine Fortsetzung des (westdeutschen) DHSN 82 ist. Es ist neben dem Deutschen Hauptdreiecksnetz für den Ort und dem Deutschen Haupthöhennetz für die Höhe die dritte Größe zur eindeutigen Festlegung eines geodätischen Bezugssystems. Das deutsche Schwerenetz stützt sich auf ca. 16.000 Messpunkte, den Schwerefestpunkten.
Historisch bedeutsam war der von Kühnen und Furtwänger vom Potsdamer Geodätischen Institut 1906 bestimmte Wert 9,81274 m/s2 in Potsdam. Potsdam wurde 1906 der Fundamentalpunkt für die Bestimmung der lokalen Erdbeschleunigung mittels Differenzbestimmung, bis das International Gravity Standardization Net 1971 eingeführt wurde.[5][6]
Messgenauigkeit
Ein modernes Gravimeter vermag die Erdbeschleunigung mit einer Genauigkeit von 0,01 µm/s2 = 0,001 mGal, ca. 10−9 g, zu vermessen. Man könnte damit eine Höhenverschiebung von weniger als einem Zentimeter registrieren. Schwankungen des Luftdrucks verursachen Änderungen in der gleichen Größenordnung.
Wenn man aber Schweremessungen zur Rohstoff-Suche oder zur Bestimmung des Geoids verwendet, kann man sich mit 0,1 mGal begnügen. Denn die Unregelmäßigkeiten des Geländes können 30 mGal ausmachen und lassen sich wegen unsicherer Gesteinsdichte kaum genauer als auf 0,5 mGal oder 5 µm/s2 berechnen. Bei Differenzmessungen (etwa zur Bestimmung unterirdischer Hohlräume) ist hingegen die 10-fache Messgenauigkeit sinnvoll.
Der Einfluss der Gezeitenkräfte liegt bei 0,005 µm/s2, am Meer mit großen bewegten Wassermassen bei 0,1 µm/s2. Veränderungen des Grundwasserspiegels können die Messwerte um 0,2 µm/s2 beeinflussen.
Aus der Beobachtung von Satellitenbahnen lassen sich Schwankungen des Erdschwerefeldes in der Größenordnung von 200 µm/s2 erkennen; die modernste Gradiometrie kann auch noch wesentlich kleinere Bahnstörungen erfassen (siehe GRACE und GOCE).
Siehe auch
Geopotential
Weblinks
Berechnen des Wertes der Schwerebeschleunigung für beliebige Orte (Gravity Information System der PTB)
GGMplus – 200m-resolution maps of Earth's gravity field Gallery Western Australian Center for Geodesy, Curtin University
Literatur
Douglas Roy Tate: Gravity measurements and the Standards Laboratory.. In: U.S. National Bureau of Standards. Technical note, 491. Superintendent of Documents, Government Printing Office, Washington, 1969. Online-Version HathiTrust Digital Library
F. Kohlrausch: Praktische Physik 1: Mechanik, Akustik, Wärme, Elektrizität. 24., neubearb. und erw. Auflage, Teubner, Stuttgart 1996. ISBN 3-519-23001-1.
Einzelnachweise
↑ Tate, 1969.
↑ Comptes rendus de la 3e CGPM (1901), 1901, 70, dort noch in cm/s2. BIPM - Résolution de la 3e CGPM
↑ Luh: Erdbeschleunigung schwankt stärker als gedacht dradio – Forschung Aktuell – MELDUNG von 20. August 2013
↑ Gravity Variations Over Earth Much Bigger Than Previously Thought in Science Daily vom 4. September 2013
↑ http://www.laiv-mv.de/land-mv/LAiV_prod/LAiV/AfGVK/Raumbezug/raum_festpunktfelder.jsp
↑ Tate, 1969.
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