Wasserspinne
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Das Spinnprodukt der Wasserspinne zeugt wohl mehr als alles andere von der Findigkeit und Kunstfertigkeit in der Spinnenwelt. Sie hat die pfadlosen Räume unter dem Wasserspiegel bezwungen wie die Ballonspinnen und die brückenbauenden Radspinnen das Gebiet der Lüfte. Die Wasserspinne bringt den größten Teil ihres Lebens unter der Oberfläche ruhiger Gewässer zu, wo man sie vom Glanz feiner Luftbläschen umhüllt sehen kann. Daher rührt auch ihr Name: „Silberschwimmer“. Beim Schwimmen oder Tauchen hält sie den Kopf unten, der sich auch im Wasser befindet, wenn sie sich in der Glocke aufhält.
Ausnahmsweise ist bei den Wasserspinnen das Weibchen nicht größer als das Männchen, sondern dieses übertrifft um ein Geringes seine Genossin. Das kunstvolle Nest, das sich der Silberschwimmer unter dem Wasser herstellt, hat die Form einer Glocke oder eines Fingerhuts und ist aus Seide so dicht gewoben, dass die für den Haushalt unentbehrliche Luft nicht entweichen kann. Auf beiden Seiten lässt die kleine Baumeisterin Kabel zu den nächstgelegenen Wasserpflanzen laufen, um ihrem Luftschloss Festigkeit zu verleihen. Manchmal liegt das Netz unweit des Grundes, doch häufiger wählt sich die Spinne ihren Bauplatz in der Mitte zwischen Oberfläche und Grund.
Die Art und Weise, wie der kleine Bau mit Luft gefüllt und ausgeweitet wird, sucht im Spinnenland ihresgleichen. Hat die Glockentaucherin ihr Werk vollendet, so steigt sie an die Oberfläche, hebt die Spitze ihres Hinterleibes aus dem Wasser und verschafft sich mit einem Ruck ein Luftbläschen. Dies führt sie mittels ihrer Hinterbeine und der langen Haare, mit denen ihr Leib bedeckt ist, von der Oberfläche hinab. Auf dem Silberpfade ihrer Fäden steigt sie hinunter bis zum Tore ihres Zeltes und macht hier das Luftkügelchen frei, indem sie es wie einen Fußball von sich wegstößt in den Eingang ihrer eben gewobenen Residenz. Diesen Lufttransport setzt sie so lange fort, bis sie in ihrer Wohnung so viel Luft gespeichert hat, wie die Familie braucht. In diesem seinem Luftschloss wohnt der Silberschwimmer sicher und zufrieden. Die Insekten, die er erbeutet hat, schleppt er dorthin, um sie in Frieden zu verzehren.
Naht die Zeit der Eiablage heran, so verbessert die Wasserspinne noch die Einrichtung des Kinderzimmers in Voraussicht der kommenden Dinge. Das Männchen macht sich rar und zieht sich in eine besondere Behausung zurück, die es sich nun herstellt. Den Kokon mit den Eiern befestigt die Mutter Spinne am Dach ihres Nestes und wacht mit Instinkten treuer Mutterliebe über ihn, bis die Nestlinge erscheinen. Hier können sie behaglich und sorglos aufwachsen, unbekümmert um die oben wütenden Stürme, bis sie sich endlich in der Wasserwelt ihr eigenes Geschick weben können. Es dauert auch nicht lange, so folgen sie dem Beispiel ihrer Eltern und bauen sich selbst Luftglocken. Vorher, bei ihren ersten Versuchen, machen sie sich wohl auch leere Schneckenhäuser zu nutze, die sie, der Familienüberlieferung folgend, mit Luft füllen. So finden die jungen Abenteurer der Tiefe leicht ein gutes Obdach, das sie sich wohnlich einzurichten verstehen.
Wenn die Mutter Spinne ihr Nest umfängt, nimmt sie eine solche Haltung ein, dass ihr Atmungsapparat der Öffnung ihrer Glocke gegenüber liegt; so findet sie in der Luft, die sie hineingeleitet hat, eine Lebensquelle für sich und ihre Nachkommenschaft. Zugleich will sie dabei ihre Jungen vor jedem unwillkommenen Besucher behüten, der etwa den Frieden ihres Hauses stören wollte.
In der Kunstfertigkeit, die der Silberschwimmer beim Bau seines Palastes entfaltet, hat er eine menschliche Erfindung vorweggenommen. Die ursprüngliche Form der Taucherglocke hat ihr Gegenstück in dem, was bei den Glockentauchern in Spinnenland seit ungemessenen Zeiten im Schwange ist. Hier haben wir wieder einmal ein Beispiel dafür, dass der Mensch, ohne sich dessen irgend bewusst zu sein, nur die hinfälligen und schwachen Kinder der Natur nachahmt.
aus ELLIS, IM SPINNENLAND