Reiterstellung
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Anna Todorowa hatte in ihrem letzten Spiel um die weißrussische Schachmeisterschaft gegen Sergej Alexandrow ihre beiden Springer gut ins Spiel gebracht und Alexandrow musste vor seinem nächsten Zug lange überlegen. Zufrieden lehnte sie sich zurück, nippte an ihrem Glas Mineralwasser und strich mit einer Hand über ihren aufgesteckten Dutt. Ohne den Kopf zu heben, schaute Alexandrow kurz zu ihr hoch, schmunzelte linkisch und flüsterte ihr zu: »Sie wollen mir wohl mit ihrer geübten Reiterstellung beikommen, was?« Die Todorowa verschluckte sich, lief puterrot an, und musste hustend das Glas auf den Tisch stellen, um ein größeres Maleur zu vermeiden. Ein Schluck Wasser schwappte leider auf das Schachbrett und machte ihren König nass. Schnell zog sie ein Taschentuch hervor, um die Schachfigur abzutrocknen, und warf in der Hektik und aus Versehen den König um. Einen Raunen ging durch das anwesende Publikum, der gelangweilte Schachrichter schaute auf und fragte nach einigem Zögern: »Wollen Sie wirklich aufgeben, Frau Todorowa?« »Nein, nein, ich habe nur...ich wollte..., das tut mir leid...«, stotterte sie und stellte ihren König schnell wieder auf. Alexandrow grinste unbewegt auf das Schachbrett und machte seinen nächsten Zug. Anna Todorowas Konzentration war nun leider flöten gegangen. Durch einen Flüchtigkeitsfehler im 16. Zug verlor Sie die Partie und die Meisterschaft. Eine Einladung Alexandrows zum Büffet, der mit sich recht zufrieden war, lehnte Sie ab. Sie verließ zügig den Saal und fuhr mit der Straßenbahn nach Hause.