Pfadfinderspiele
Bewertung: 9 Punkt(e)
Meine besten Freunde waren damals oft die französischen Pfadfinder–Jungenromane aus den Jahren 1936 – etwa 1960. Gedruckt wurde das letzte Buch dieser Reihe Ende 1966, dann lief die Serie ganz aus. Diese französischen Romane wurden, wohl nur mit Karl May vergleichbar, im Alsatia–Colmar–Verlag verlegt, und in –zig Sprachen übersetzt. In Deutschland nannte man sie »Spur–Bücher«. Na, wahrscheinlich haben auch Sie in Ihrer Jugend mal ein Buch mit diesem Zeichen gelesen: [Hier zeichnete er ein Dreieck – die Silhouette eines Tipis? – mit Pfeilchen nach links].
Aus dieser Reihe stammt ein Buch, das ich als eines der besten empfinde, welches ich je gelesen habe. Ich habe geheult wie ein Schloßhund, als ich es bei meiner Tante las. Nun war dieses Buch, wenn ich heute zurückschaue, aber auch nicht etwa im Kinderbuch–Stil geschrieben, aber auch die Probleme, die es enthielt, waren nicht dieser Natur.
Es ging um zwei Pfadfinder-Freunde, die sich erst im Zeltlager eines Schlosses kennenlernten, um Erik und Christian. Erik war adelig und fühlte sich an einen Schwur gebunden, welchen er seinem Vater auf dem Sterbebett abgegeben, geleistet hatte. Durch diesen Schwur, bzw. das Problem, welches dadurch zwischen ihnen auftaucht, nämlich die Todfeindschaft der beiden Familien der Jungen, kommt Christian in lebensgefahr. Er fällt dem Schwur, so scheint es, zum Opfer. Erik hat es nun in der Hand, seine »Familienehre« zu bewahren, d.h. den Freund sterben zu lassen, oder sein Wort gegenüber dem Vater zu brechen. Er sieht keinen Ausweg, als selbst zu sterben. Dies, wie ich meine, wunderbare Buch, war meine »große Liebe«. Es heißt »Der goldene Armreif«, geschrieben von Serge Dalens, übersetzt von Robert Guiscard.
Damals, das Buch gehörte noch nicht mir, und ich hatte kein Geld, und die Ferien waren bald vorbei, ich mußte also bald wieder nach Essen, aber konnte ich ohne dieses Buch sein?
Nein.
Ich schrieb es, Wort für Wort, ab.
Vielleicht konnte ich Ihnen damit sagen, daß es keine Einbildung ist, wenn ich Ihnen heute sage, daß es kaum etwas Einsameres, Trostloseres gibt, als ein Kind, das in Buchzeilen etwas Liebe suchen muß.
Jürgen Bartsch, Brief an Paul Moor vom 10. 7. 1968
cf. Moor: 'Jürgen Bartsch: Opfer und Täter', Reinbek 1991