Neptun-zerschmettert-ohne-Gnade-und-Einsicht
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Man hat tatsächlich Zeit (oder nimmt sie sich eben) und wandelt so durch das Blasteraquarium, lässt die Gedanken in der Strömung treiben wie die Seeanemone ihre Fangarme und steht schließlich sinnend (dabei gar nicht merkend, daß der Finger langsam in die Nase fährt, äch...) vor dem sogenannten Götterbecken.
Possierlich, das alles, aber ... Hm, kein Neptun, es gibt auch keine Hinweistafel, wer eigentlich alles in diesem Becken lebt, das ist schon merkwürdig. So steht man und schaut selbstvergessen den Nixen zu, als ein kleiner Mann mit Hut und Pfeife heranschlendert und sich schließlich auffällig unauffällig neben einem postiert.
»Vous savez, le Neptune bleu n'est pas la.« murmelt es plötzlich unter dem Hut hervor. »Wie bitte?« entfährt es mir überrascht und der Mann zieht seinen Hut »Ah, sie sprechen deutsch - Jean-Luc, nennen sie mich einfach Jean-Luc. Neptun, er ist nicht da, nicht wahr?«
Irgendwie weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll - nicht gewohnt, daß die Menschen mir gleich mit ihrem Vornamen kommen finde ich, daß die Distanz etwas zu gering ist, rücke einen Schritt ab und nicke nur mit dem Kopf. Aus der Ferne hört man eine wenig Lärm vom Becken mit dem Gitarrenriff - was kann man schon von Knallkrebsen erwarten...
»Ich habe ihn gebraucht, damals, und das Angebot, das ich ihm machte, war gut, ich hatte reiche Geldgeber und diese attraktive Stenotypistin, wie hieß sie noch ...«
Ich beschloß, nicht darauf einzugehen - wer weiß, was er in seiner Pfeife rauchte.
»Es gibt sogar ein Filmzitat, einer hat die erste Szene mit dem Alfa-Romeo im Hof von Cinecitta zitiert und, ja, die Schauspielerin, die ... ah ja,Brigitte hieß sie, darstellte, sah ihr sogar ziemlich ähnlich, es war gut gemacht...« Er schaute versonnen in das Blau des Beckenhintergrundes und murmelte etwas, das sich wie Flöhrdekoan oder so anhörte, er nuschelte, mit der Pfeife im Mund...
»Blau, das war die Farbe, die ich Neptun zugeordnet hatte, Fritz fand das gut, er, mit seinem Monokel...«
Was geht mich das Monokel von Fritz an? Ich lasse diesen seltsamen Franzosen da stehen und starre weiter auf die Nixen, schließlich erregt ein Formorri meine Aufmerksamkeit, der hüpfend eine Klabauterfrau zu haschen sucht, was ihm jedoch nicht gelingt.
Plötzlich zupft er mich am Ärmel: »Sehen sie die Klabauterfrau? Sie hat nur Verachtung für den einarmigen Tropf. Das ist ein altes Spiel, glauben sie mir - il faut que nous parlez ...«
»Was wollen Sie denn« herrsche ich jetzt diesen seltsamen Mann an. »Na, Pallas Athene, die hatte ich auch, aber die ist nicht hier, das war die Gegenspielerin, sie schützte Odysseus, Neptun war schließlich sein Todfeind...«
»Wovon reden sie denn?«
»Erinnern sie sich nicht?«
»Woran soll ich mich denn erinnern?«
»Sie haben es doch oft genug gesehen«
»WAS DENN? WAS SOLL ICH GESEHEN HABEN?«
»Sie haben es sogar anderen gezeigt!«
Damit dreht sich dieser seltsame Jean-Luc um und geht langsam davon. Ich bin verwirrt: Was soll ich anderen gezeigt haben, was er so gut zu kennen meint? Dieses blaugrüne Dämmerlicht hier im Aquarium, und die Glaswände rücken anscheinend immer näher, ich muß raus, ins Freie. So steuere ich den Ausgang an und treffe dort wieder auf den Mann mit dem Hut und der Pfeife. Er lacht mich an, als ich hastig dem Ausgang zustrebe: »Sie erinneren sich wirklich nicht?« Ich bleibe stehen:»Nein - ich hatte nie mit Göttern oder einem Fritz oder einer Brigitte zu tun. Was wollen Sie denn von mir?«
Umständlich holt er ein Feuerzeug aus der Tasche seines Jacketts und zündet sich seine erkaltete Pfeife an »Wenn sie jetzt da raus gehen, ins Licht gehen, in die Welt gehen, wird er Sie zerschmettern. Ich rate ihnen, zu warten. Es gibt einen Unterschied zwischen Bardo und Bardot, der ist nicht zu verachten.« Damit wand er sich um und ging an der Nische mit diesem Laden, der mir schon beim Betreten des Aquariums eher merkwürdig erschienen war, vorbei und schließlich durch die reich verzierte Tür hinaus. Ratlos stand ich vor einem Ständer mit Postkarten, auf denen ungeheuerlicherweise eine Unfallszene abgebildet war, ein roter Alfa Romeo, dessen Insassen, eine Frau und ein Mann, sicher tot in den Sitzen hingen, das Auto hatte sich unter die Anhängerdeichsel eines Tanklastzuges geschoben, die Deichsel muß beiden sofort die Schädel zerschlagen haben, was war denn das für eine Szenerie? Und noch dazu als Postkarte? Auf der Blankseite der Karte fand sich nur ein winziger Hinweis, wahrscheinlich die Druckerei, Edition Godard konnte ich entziffern. Wahrhaftig, da sollte man mal hinschreiben. Zitternd suche ich in meinem Wollmantel nach der Nummer vom PIA, vielleicht wissen die, wann ich mich ins Freie trauen kann, das Blasteraquarium wird nicht rund um die Uhr geöffnet haben...