Mitglied

Ich bin voriges Jahr mit meiner Freundin auf das jährlich stattfindende Lesben-Frühlingstreffen gestolpert. Gemeinsam ist ihr und mir, daß wir lesbisch leben und nicht von uns behaupten, lesbisch zu SEIN. Ich persönlich nehme es mit dieser Unterscheidung ziemlich genau.
Na, jedenfalls war es das zu erwartende Bild: eine Menge Frauen von denen die überwiegende Mehrheit eine im Groben übereinstimmende Erscheinung haben; ein wirklich erstaunliches Phänomen. In vielen Zelten fanden Workshops statt, die sich mit Belangen der » reinrassigen Lesben « befaßten. An einem anderen Ort des Geschehens tanzten die Spirituellen gemeinsam einen Menstruationsreigen zu Ehren der großen Göttin. Und über allem schallte in Abständen die Durchsage einer Mitwirkenden, es werde dringend eine Helferin für eine > Andersbefähigte < gesucht. Ich hatte diesen Begriff noch nie gehört und meine erste Assoziation war, es müsse eine Hetera (fem.sprech für heterosexuelle Frau) gemeint sein. Nur das mir nicht einfiel, für was eine solche eine Helferin brauchen könnte. In einiger Entfernung machte ich einen Info-Stand für Andersbefähigt aus, den ich gleich ansteuerte um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Die für Information abgestellte Frau hinter dem Stand klärte mich dann auf, daß mit Andersbefähigte unsere behinderten (lesbischen?) Mitbürgerinnen gemeint seien. Und blitzartig fiel mir wieder ein, warum ich mich vor Jahren aus dieser Szene verabschiedet habe.

Mitglied ist wenn man dazugehört. Theoretisch jedenfalls. Es gibt aktive und passive Mitglieder. Meistens ist man eher passiv. Ich bin Mitglied in diversen Büchereien, im Karstadt-Club, im politischen System der Republik, in der Uni... . Trotzdem habe ich nie wirklich das Gefühl dazuzugehören. Passiv bin ich nicht, aktiv auch nicht, was bin ich dann, die alte Frage, an der sich die Geister scheiden, Menschen zerbrechen und wegen der schon Faust einen Pakt mit dem Teufel einging. War Goethe Mitglied. Angeblich war er Freimaurer, mindestens, oder gar Illuminat, Rosenkreuzer oder ähnlich schlimmes?
Goethe war seiner, ist unserer Zeit voraus, er hat die Frage gestellt, die zu verdrängen wir das ganze Leben versuchen, dadurch daß wir in möglichst vielen Clubs, Bibliotheken und anderen Organisationen Mitglieder werden und uns über diese statt über uns selbst definieren.

Ich bin ADAC Mitglied. Das ist mir peinlich. Aber mein Auto ist auf der Autobahn liegengebieben. Es war wesentlich billiger für ein Jahr Mitglied zu werden, als den Nicht-Mitglieder-Beitrag zu zahlen. Wenn man den Auto-Lobby-Scheiß den der ADAC verbreitet, nicht so toll findet, dass man sofort dazugehören will ist es ein guter Tipp auf die Panne zu warten und dann beizutreten. So kann man sich preiswert helfen
lassen, ohne diesem Idioten-Club mit den völlig bescheuerten Ansichten und Pressemitteilungen, nur für
den Fall der Fälle beitreten zu müssen.

Mitglieder sind manchmal erwünscht, dann wieder nicht. Eine Mitgliedschaft hat nun auch noch eine zeitliche Dimension. Es hängt auch von der politischen Situation ab, ob eine Mitgliedschaft gefährlich, hilfreich, notwendig ist, oder vielleicht sogar den Tod bringt. Augenzeugen zufolge ist auch eine vermeintliche Mitgliedschaft, die keiner Überprüfung standhalten würde, schon oft mit dem Tod des, bis dahin noch Mitglieds beendet worden. Ob dies allerdings eine rechtlich einwandfreie Beendigung einer Mitgliedschaft ist, oder ob das Mitglied auch über seinen Tod hinaus Mitglied bei der Gemeinschaft bleibt, muss hinterfragt werden.