Hausarzt
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Nachdem ich als Kind einmal mit dem Kopf auf den Schirmständer gefallen bin (wer sich für diese Geschichte interessiert, der kann alle Details unter dem Stichwort »Schirmständer« finden) hatte ich eine Platzwunde an der Augenbraue, die genäht werden musste. Also fuhr meine Mutter mit mir zu unserem Hausarzt, den wir immer liebevoll »Onkel« nannten. Wen kümmert schon ein Doktortitel, wenn der nette Mann immer leckere Bonbons an der Rezeption stehen hat???
Nun war der Onkel leider im Urlaub und ich war ein stures Gör.... Der vertretende Arzt meinte: »Ich mache das schon, der Doktor ist nicht da!« Aber so einfach konnte man mich natürlich nicht mit diesem billigen Ersatz-Onkel abspeisen! »Nein, der Onkel soll es machen! Dann muss er eben kommen!« Um diesem Entschluss mehr Ausdruck zu verleihen, setze ich eine entschlossene Miene auf und sah aus dem Fenster. Minute um Minute wurde auf mich eingeredet. Schließlich sagte meine Mutter: »Der Onkel ist ganz krank. Er liegt im Bett und kann nicht kommen. Er hat aber gerade am Telefon gesagt, dass er gaaaanz schrecklich stolz auf Dich wäre, wenn Du das trotzdem machen lassen würdest!« Na gut, schließlich war es der Onkel und auf die Bonbons wollte man beim nächsten Besuch auch nicht verzichten müssen! Ganz das tapfere Maderl ließ ich also den blöden anderen Doktor die Wunde nähen! Nach einer Woche sollte ich wiederkommen, um die Fäden zu ziehen. Da ich ja nicht völlig dumm war, fragte ich den Onkel spitzbübisch: »Wo warst Du denn letzte Woche, als Du meine Wunde nähen solltest????« Und er sagte: »Ich war krank und lag im Bett! Aber Du warst ganz tapfer und darum kannst Du Dir auch gleich ein Bonbon holen gehen!« War ich stolz auf mich!!! Hatte ich das nicht gut gemacht, und der Onkel war ja wohl auch tatsächlich krank, sonst hätte er das ja nicht gesagt! Damals wusste ich auch noch nicht, dass meine Mutter in der Zwischenzeit bereits mit ihm telefoniert hatte um ihm zu sagen, dass er doch bitte nicht sagen solle, er sei in Urlaub gewesen....