Fischgeschäft
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In meiner Stadt hat ein neues Fischgeschäft eröffnet. Jeden Montag hält ein riesiger LKW davor, aus einem Begleitbus springt eine endlosscheinende Zahl von Eskimos in Fellmänteln. Eilig öffnen sie die Ladeluke des LKWs hinter der ein gigantischer Potwal zum Vorschein kommt. Unter dem gebetsähnlichen Gemurmmel der Gemeinde greift der stärkste von ihnen den Wal an der Flosse und zieht ihn in den Laden, vorbei an den wartenden gesichtslosen Kunden mit ihren mitgebrachten Plastiktüten.
Kaum ist der Wal auf einer Art Podest aufgebahrt beginnen die Eskimos mit kleinen scharfen Messern den Wal zu zerlegen und die Teile in die Plastiktüten der Kunden zu stecken. Die ganze Zeit über spricht der »Träger« in das offene Auge des Wahls als wolle er ihn trösten. Für einen Moment scheint es so als würde der Wal weinen.
Nach einigen Stunden ist alles vorbei. Der LKW, der Bus mitsammt den Eskimos und die Kunden sind verschwunden. Der Laden ist leer. Der Geruch von Fisch ist kaum noch wahrzunehmen.
Es ist Nacht. Allein betrete ich den Laden, Neonlicht fällt durch das Schaufenster. In der Mitte des Raumes finde ich das Auge des Wals. Verstohlen greife ich danach, stecke es in meine Tasche und mache mich davon. Auf meinem Weg durch die Nacht verlässt mich das Gefühl der Scham nicht mehr. Das Auge in meiner Tasche beginnt zu pulsieren. Ich bin allein. Für immer.