Einige überdurchschnittlich positiv bewertete
Assoziationen zu »Abschiedsbrief«
mcnep schrieb am 20.6. 2003 um 16:17:21 Uhr zu
Bewertung: 4 Punkt(e)
An Fräulein Ulrike von Kleist Hochwohlgeb. zu Frankfurt a. Oder.
Ich kann nicht sterben, ohne mich, zufrieden und heiter, wie ich bin, mit der ganzen Welt, und somit auch, vor allen anderen, meine teuerste Ulrike, mit Dir versöhnt zu haben. Laß sie mich, die strenge Äußerung, die in dem Briefe an die Kleisten enthalten ist, laß sie mich zurücknehmen; wirklich, Du hast an mir getan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl; möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit, dem meinigen gleich: das ist der herzlichste und innigste Wunsch, den ich für Dich aufzubringen weiß.
Stimmings bei Potsdam
d. - am Morgen meines Todes.
Dein
Heinrich.
mondenkind schrieb am 20.6. 2003 um 09:59:45 Uhr zu
Bewertung: 3 Punkt(e)
«Es ist beschlossen, Lotte, ich will sterben, und das schreibe ich dir ohne romantische Überspannung, gelassen, an dem Morgen des Tages, an dem ich dich zum letztenmale sehen werde. Wenn du dieses liesest, meine Beste, deckt schon das kühle Grab die erstarrten Reste des Unruhigen, Unglücklichen, der für die letzten Augenblicke seines Lebens keine grössere Süssigkeit weiss, als sich mit dir zu unterhalten. Ich habe eine schreckliche Nacht gehabt, und ach! eine wohltätige Nacht. Sie ist es, die meinen Entschluss befestiget, bestimmt hat: ich will sterben! Wie ich mich gestern von dir riss, in der fürchterlichen Empörung meiner Sinne, wie sich alles das nach meinem Herzen drängte, und mein hoffnungsloses, freudloses Dasein neben dir in grässlicher Kälte mich anpackte – ich erreichte kaum noch mein Zimmer, ich warf mich ausser mir auf meine Knie, und o Gott! du gewährtest mir das letzte Labsal bitterster Tränen! Tausend Anschläge, tausend Aussichten wüteteten durch meine Seele, und zuletzt stand er da, fest, ganz, der letzte einzige Gedanke: ich will sterben! – Ich legte mich nieder, und morgens, in der Ruhe des Erwachens, steht er noch fest, noch ganz stark in meinem Herzen: ich will sterben! – Es ist nicht Verzweiflung, es ist Gewissheit, dass ich ausgetragen habe, und dass ich mich opfere für dich. Ja, Lotte! warum sollte ich es verschweigen: eins von uns dreien muss hinweg und das will ich sein! O meine Beste! in diesem zerrissenen Herzen ist es wütend herumgeschlichen, oft – deinen Mann zu ermorden! – dich! – mich! – So sei es denn! – Wenn du hinaufsteigst auf den Berg, an einem schönen Sommerabend, dann erinnere dich meiner, wie ich so oft das Tal heraufkam, und dann blicke nach dem Kirchhofe hinüber nach meinem Grabe, wie der Wind das hohe Gras im Scheine der sinkenden Sonne hin und her wiegt. – Ich war ruhig, da ich anfing, nun, nun weine ich wie ein Kind, da alles das so lebhaft um mich wird.»
Werthers Abschiedsbrief an Lotte,
aus «Die Leiden des jungen Werther», von J. W. Goethe
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