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wuming schrieb am 1.5. 2003 um 00:26:33 Uhr über

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[Time for a new perplexity]





"If I were to kiss you here they'd call it an act of terrorism - so let's take our pistols to bed & wake up the city at midnight like
drunken bandits celebrating with a fusillade, the message of the taste of chaos." (Hakim Bey)

Eine [unfreundliche übernahme] ist keine Guerilla-Aktion, keine kulturmilitärische Strategie. Und dennoch Taktik: Der [temporäre Takeover]
eines anderen, eines fremden Ortes, einer fremden Struktur, eines fremden Themas. Nicht aus machtloser Konsumentenposition heraus,
aus der aufgezwungene hegemoniale Strukturen der kulturellen Produktion höchstens unterlaufen werden können. Sondern im Bewusstsein
von Strategien der Macht, die auch im Kulturkontext die Verhältnisse schaffen. Einen virtuellen, einen neutralen Raum gibt es nicht.

»Would you like me to take over the driving for a while?«

Der [Unfriendly Takeover] eines Ortes/einer Szene/eines Themas erhält die ursprünglichen Strukturen - die Amtsgewalt jedoch liegt in
kuratorischer Hand, die parallel zu den alten Strukturen neue schafft, die alten kontrolliert. Dabei geht es nicht um Zerstörung oder
Manipulation, auch nicht um die Schaffung eines eigenen Ortes (einer leeren Seite, einer Black Box, eines White Cube), sondern um die
Behauptung eines kulturellen Paralleluniversums, das temporär und öffentlich die Macht übernimmt.
Das komplexe strukturelle Gefüge eines doppelten Systems, das dabei entsteht, die direkte Konfrontation zweier Systeme,
unterschiedlicher Machthaber und Strukturen, schafft ein Bewusstsein für soziale, ökonomische und kulturelle Kräfte.

Dabei sind Objekt und Subjekt der [übernahme] nicht leicht auseinander zu halten, das Verhältnis von raider und [übernahme]kandidat ist
nicht das zwischen Parasit und Wirt. Eine nicht gleichberechtigte Verschmelzung zwar, aber keine völlige, spurlose Verdauung: Vodafone
bleibt immer auch Mannesmann. Und Raider bleibt Twix. Das Alien als fiesfressendes Kind und Vagina Dentata, die den Wirt tötet,
symbolisiert eine [missglückte übernahme]. Theatral zwar überzeugend, aber ohne Zukunft.

Durch die Herstellung eines Parallelsystems wird der Kontext der vormaligen Regeln und Handlungen sichtbar, das Neue erscheint im
Verhältnis zu den (alten) Anwendungskontexten, die zur leeren Referenz werden. Auf die alten Anwendungskontexte wird lediglich
verwiesen, durch sie - und mittels ihrer völlig willkürlichen Art und Weise der Setzung - wird jedoch nichts mehr legitimiert:
"Insofern als Kräfteverhältnisse diejenigen Netze bestimmen, in die sie sich einschreiben, (...) muss man von einer sprachlichen Referenz zu
einer kriegswissenschaftlichen Referenz übergehen." (Michel de Certeau). Anstelle der (strategischen) Schaffung eines legitimen Ortes
(eines Archivs oder Museums), kommt es durch die [übernahme] eines fremden Ortes (des fremden Museums zum Beispiel) zu einer
Unterscheidung von Modalitäten des Handelns und von Formalitäten der Praktiken an diesem Ort.
Zwischen den unterschiedlichen Systemen tut sich ein Raum auf, ein Feld des Handelns, plurale, kreative Möglichkeiten des Gebrauchs, der
Manipulation, des Umfunktionierens.

»When she fell ill her daugther took over the business from her

Eine [unfreundliche übernahme] ist dann die Realisierung anderer möglicher Handlungsweisen, bedeutet eine damit einhergehende
temporäre Aneignung eines fremden Ortes, die Konstitution eines relationalen Vertrages und - die Herstellung einer Gegenwart. Die
Konfrontation erzeugt die Organisation einer Zeitlichkeit (ein Vorher und Nachher) und die Existenz eines 'Jetzt', das Präsenz in der Welt
bedeutet.
"History says the Revolution attains 'permanence', or at least duration, while the uprising is 'temporary'. In this sense an uprising is like a
'peak experience' as opposed to the standard of 'ordinary' consciousness and experience. Like festivals, uprisings cannot happen every
day - otherwise they would not be 'nonordinary.' But such moments of intensity give shape and meaning to the entirety of a life. The shaman
returns - you can't stay up on the roof forever-- but things have changed, shifts and integrations have occurred - a difference is made."
(Hakim Bey)

Der Kurator Hans Ulrich Obrist nennt in einer Äufzählung von Ausstellungsstrategien auch einige, die im Sinne eines [künstlerischen
takeovers] für uns das Feld abstecken können: "Ausstellungen im Lebenszusammenhang, der während der Ausstellung aufrechterhalten
wird» oder «die Infiltration existierender Strukturen und Institutionen, die eigentlich nicht für Ausstellungen von Gegenwartskunst vorgesehen
sind, so dass die Ausstellung eine heterogene Situation schafft, in der sich verschiedene Praktiken und Formen durchmischen können".

[Unfriendly Takeover] als kuratorische Strategie spielt mit dem ganzen Spektrum möglicher Machtverhältnisse prozentualer
[übernahmeanteile]: Thomas Kapielski im Frankfurter Museum für Moderne Kunst führt durch die ihm unbekannte Ausstellung und eignet
sich ad hoc im überfallartigen Zugriff die Werke an, ordnet sie in ein eigenes Weltbild ein, kanzelt ab, deklariert, sortiert, diffamiert, ignoriert.
Während das Museum als ganzes unberührt bleibt, schlägt die Performance eine Bresche in den Kunstdschungel, einen eigenen Weg der
Wahrnehmung und Wertung, der - scheint's - hinter der Gruppe sofort wieder zuwuchert, vielleicht ohne eine Spur.

"Einerseits: in wessen Namen haben wir gesagt, dass die Kunst sich unterscheidet? Andererseits: von wo aus (von welchem distinkten Ort)
analysieren wir diese 'Kunst'?" (de Certeau)

Eine Infiltration existierender Strukturen versuchte die Ausstellung »Skinny Bag Laboratories« im Frankfurter Hauptbahnhof - und scheiterte
nicht zuletzt an der Massivität eben jener Strukturen, architektonischer wie sehgewohnter, kultureller.
Ein veränderter Blick im Sinne eines [takeovers] war durch die künstlerische Intervention nicht möglich. Wohl aber bei einer eher
beiläufigen, spontanen Aktion: Eine improvisierte Wohnzimmersituation mit Jim-Knopf-Filmen als Fernsehabend implantierte den Moment
des Heimischen ins Hektische, des Persönlichen ins Anonyme, des Kleinen ins Große. Beiläufig gelang die [temporäre übernahme], die
Irritation des Gewohnten.

»The firm has been taken over by an American conglomerate.«

Die Aufhebung der Grenze zwischen Kunst und Lebenszusammenhang, zugleich aber, in Abwandlung der Obrist'schen Struktur-Infiltration,
die Isolierung einer Struktur fand im Rahmen von »9 Koffer in Wien« statt: Eine lokale Szene (Kunststudenten und das Umfeld der Akademie
der Künste) wurde isoliert im beengt skurrilen Wohnraum von [Unfriendly Takeover]: Innerhalb von 24 Stunden wurde eine Ausstellung dreier
Wiener Künstler initiiert, aufgebaut, durchgeführt und abgebaut. über Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen der Künstler und, in weiteren
Ringen, wiederum deren Freunde und Bekannte wurde die Wohnzimmer-Ausstellung publik, im Laufe der Nacht kamen rund hundert Gäste.
Und waren, ohne ihr Wissen, selbst die eigentlichen Ausstellungsstücke: Die Ausstellung einer Szene.
Doch die Konfrontation und Kombination von Kunst und Strukturen (als Räume, Situationen, sozialen Szenen) ist ein schmaler Grat -
semantische Dopplungen zeitigen lediglich einen »semantischen Kurzschluss« (Raimar Stange) zwischen Raum und Kunst. Die
selbstreferentielle Dopplung der semantischen Kraft des Ortes generiert keine neuen Sichtweisen außer in den seltenen Fällen einer
produktiven überaffirmation. Andererseits führt auch die völlige Beziehungslosigkeit ins Leere einer konventionellen Trennung von Kunst und
Kontext.
Zwischen diesen beiden Polen ist viel Raum für künstlerische Suchen. Und fürs Scheitern. [Unfriendly Takeover] ist keine kuratorische
Strategie der Gewissheit. Denn nur im Experiment kann man dem »Trüffelschweinsyndrom« (Obrist) entgehen, der Praxis, Kunst zur
Illustrierung einer Idee zu verwenden.

"I am not at all desperate but completely perplexed. (...) People all act as if they possessed some unassailable knowledge, as if they had
something in hand that gives them the right to behave the way they do. Artists pretend that they're visionaries, which is the opposite of
perplexed people, but in fact none of this is true, at least not on a first level of meaning. It's about time for a new perplexity which is much
more symptomatic of the situation we're in." (Carsten Höller)

»Has the party been taken over by extremists






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