Einst war auf der Treppe des Völkerschlachtdenkmales ein Pelzbander zu finden, ein Teddybär gleichsam, der sicherlich auf einen in Zersetzung befindlichen Kadaver zurückzuführen war. Schließlich lagen in der Umgebung des Völkerschlachtdenkmales Unmengen toter Hunde herum, welche die Bauern immer wieder dorthin warfen, um die Maikäfer fortzulocken. Im frühen Trab kam Fidias dorthin und freute sich über den Anblick des Teddys. Sein Wellensittich war auch dabei, schließlich war Pfingsttag und die Maikäfer sprudelten nur so. Ach ja, und so trug es sich zu, dass Fidias, der arme Büßer, den grob genähten Pelzbander an seine liebende Brust drückte, ihn Taddygush nannte und mit zu sich nach Hause nahm. Kleine Schritte sind allemal besser als große, meinte Fidias im Stillen, und als sie zu Hause waren, waren die Taschen übervoll mit Maikäfern, denn schließlich brauchte das Chamäleon diese als Nahrung. An den folgenden Tagen herrschte in der Stadt ein geschäftiges Getümmel voller Busse und Straßenbahnen, zumal ja die Pfadfinder unterwegs waren, die kleinen und die größeren Pfadfinder mit ihren bunten Schals. Fidias indes war schon viel zu groß, um den Pfadfindern anzugehören, und er war auch viel zu alt, um einen alten Pelzbander lieb zu haben. Trotzdem liebte Fidias seinen Taddygush, und wenn sein Wellensittich kein Blaupapier geknabbert hätte, wäre er wahrscheinlich heute ebenso mit der Straßenbahn gefahren wie Fidias. Ja, und wenn der Zigeuner, der täglich einen Wasserkanister mit einem lebendigen Krebs darin mit sich herumtrug, dem armen Fidias keinen Platz gemacht hätte, er hätte seinen Termin beim Zahnarzt gewiss versäumt. Denn der Pelzbander, um es gleich vorauszuschicken, trug bereits keimendes Leben in sich, zumal das Schuljahr fast vorbei war, und jedes Jahr nahm sich Fidias ganz fest vor, seinen guten Vorsätzen treu zu bleiben. Man konnte gleichsam seine Angst spüren, denn was sollte mit Taddygush bis Weihnachten geschehen? Gewiss, bis dahin war noch lange Zeit, doch wenn man den Worten der Alten Glauben schenkt, vergeht die Zeit wie im Fluge. Und so war, pardauz, die Weihnachtszeit da! Glücklicherweise war Tante Gery vor dem Fleischereifachgeschäft nicht auf einem abgeschnittenen Penis ausgerutscht, so dass ihr ein unangenehmer Oberschenkelhalsbruch erspart geblieben war, denn nun war das kostbare Geschlechtsteil dazu verdammt, Opfer unabwendbarer Verwitterung zu werden. Weil dem aber nicht so war, hatte Fidias das Angebot eines Töpferkurses abgelehnt, sondern beschlossen, die fromme Weihnachtszeit lieber gemeinsam mit dem Chamäleon und dem Pelzbander Taddygush bei Tante Gery zu verbringen. Doch herrschte eine überaus gedrückte Stimmung, weil es in Tante Gery‘s Haus keine Weihnachtsgans gab. Unter gequälten Kreaturen entwickelten sich einige unvorstellbare Fähigkeiten, und dem Chamäleon ging es so nah, dass es selbst gefiedert wurde und sich in einen hochwertigen Weihnachtsvogel verwandelte. Weihnachten war gerettet, und unter Tante Gery’s Pflege gelang der Weihnachtsbraten ganz vortrefflich, und es duftete in der ganzen Stube. Und auch sehr gut geschmeckt hat es. Aber der Schmerz, dessen Ursache nicht mehr nur der Wellensittich, sondern auch das Chamäleon war, ließ Fidias derart verzweifeln, dass er nicht nur das Essen verweigerte, sondern mittels des Stranges seinem Leben auf Tante Gery‘s Dachboden ein schreckliches Ende machte. Wie konnte er Taddygush nur so weh tun? Der arme Pelzbander wanderte einsam und verlassen durch die Stadt, nährte sich von Unrat, trank Faulwasser, verrichtete seine Notdurft in der Gosse und schlief hinter den Mülltonnen unter zerknitterten Zeitungen. Depressionen, Angststörungen, Kreislaufversagen, Nierenschäden und eine Schwächung des Immunsystems gefährdeten nicht nur Taddygush, sondern auch das in ihm keimende Leben. Es musste sich anfühlen, als sei ein Rostocker in Cannes unterwegs. Parasitäre Würmer und nagende Läuse quälten ihn, und mit einer Ahnengalerie in Rumänien nahe Bukarest hätte er wenigstens ehrbare Vorfahren gehabt, aber leider war nicht einmal das der Fall. Obwohl er schwanger war, fand Taddygush bald eine Freundin. Ihr Name war Gesine, aber Taddygush nannte sie nur hübsches Mädchen, weil sie es war. Obwohl ihr eine Explosion das halbe Gesicht zerfetzt hatte, wobei sie auch ihres rechten Auges verlustig gegangen war, schien sie noch mit dem Sehnerv zu blinzeln und lächelte, strahlte gleichsam von innen. Jeden Tag musste Gesine Faulwasser kochen, denn der exakte Geburtstermin des Pelzbanders ließ sich nicht genau feststellen. Weiß der Teufel, wozu bei einer Geburt heißes Wasser benötigt wird, doch Taddygush wollte das Kind ohnehin nicht austragen. Das hübsche Mädchen hörte nicht auf den Pelzbander, sondern sah sich gezwungen, den Schritt des Kaisers bei Taddygush durchzuführen, was bei einem Pelzbander bekanntlich recht gut zu bewerkstelligen ist. Der Fötus sah fast wie ein unentwickelter Telefonhörer aus, knorkste und war schon lebensfähig. Das hübsche Mädchen vermochte die Herzenshärte nicht aufzubringen, das hochgradig deformierte Kleine in den Ausguss zu werfen und es im Faulwasser eingehen zu lassen wie ein Primelchen. Dass sich Gesine seinen Wünschen widersetzte, machte Taddygush schließlich so wütend, und während das Zirpen der Grillen erklang, machte er sich auf und davon. Jetzt wusste er, dass die Verhältnisse im Streit über den Nachwuchs oftmals der Grund für eine Trennung und gleichzeitig für einen Neuanfang sein können, und weil die Nostalgie ihn quälte, beschloss er, zum Völkerschlachtdenkmal zurückzukehren und seinen alten Platz auf dessen steinerner Treppe zu nehmen. Wer einmal in Leipzig weilt, sollte einen Besuch des Völkerschlachtdenkmales keinesfalls versäumen. Sitzt auf dessen Stufen vielleicht sogar ein Pelzbander, lohnt es sich allemal, genauer hinzusehen. Denn wenn er schlechte Nähte hat und im Bereich des Unterleibes dilettantisch geflickt anmutet, wenn zwischen seinen Beinen überdies Mengen an tierischen Läusen sowie Filzstäbchen zu entdecken sind, so handelt es sich bei diesem Pelzbander unzweifelhaft um Taddygush, dessen haariger Balg von der Farbe her ganz gut zum Völkerschlachtdenkmal passt.
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