"Nationale Interessen
wahren"
Machtpolitik unter
dem Deckmantel von
Freiheit und
Demokratie
Lauschangriff auf die Delegierten des UN-Sicherheitsrats
Florian Rötzer 10.03.2003
Angeblich wollen die Vereinten Nationen den Vorfall untersuchen
Vor einer Woche wurde bekannt, dass der amerikanische Geheimdienst NSA alle
UN-Sicherheitsrats-Mitglieder außer denen der USA und Großbritanniens abhören soll.
Ein entsprechendes Memo eines hohen NSA-Mitarbeiters, die Telefone im Büro und
Zuhause sowie Emails zu überwachen, war dem britischen Observer zugeleitet worden (
US-Geheimdienst überwacht Delegierte des UN-Sicherheitsrats). Die Reaktion darauf
war bislang verhalten. Jetzt will offenbar die UN den Vorfall untersuchen lassen.
Dass die US-Regierung mit allen Mitteln versucht, doch noch die zum Krieg ermächtigende
UN-Resolution zu erwirken, ist kein Geheimnis ( Die Koalition der Willigen). Auch die
Kriegsverweigerer, die für eine Fortsetzung der Inspektionen plädieren, versuchen, ihre
Achse zusammen zu halten und für ihre Position zu werben. Bekannt ist schon lange, dass die
NSA beispielsweise mit dem Echelon-System, an dem u.a. auch Großbritannien beteiligt ist,
weltweit auch die befreundeten Länder belauscht.
Überraschend war daher die Meldung nicht, dass in den letzten Tag vor der Entscheidung, wie
der Krieg geführt werden kann, die Delegierten des UN-Sicherheitsrates belauscht werden,
um genauere Kenntnis über deren Haltung zu erlangen. Damit könne man, so das Memo, "den
US-Entscheidungsträgern einen Vorteil verschaffen, um für die US-Ziele günstige Ergebnisse
zu erreichen und Überraschungen zu vermeiden". Der Los Angeles Times berichtete eine
Mitglied der US-Regierung, dass man dies schon immer so gemacht habe: »Das ist Routine.«
James Bamford, Autor von Büchern über die NSA, meint gar, die USA hätten sich deswegen
darum bemüht, den UN-Hauptsitz nach New York zu holen, um besser lauschen zu können.
Empört zeigte sich bislang vor allem die chilenische Regierung. Präsident Ricardo Lagos
verlangte eine sofortige Erklärung. In Chile hatte bekanntlich die CIA im Auftrag der
US-Regierung beim Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende und bei
der Machtübernahme des Militärs unter der Führung des Diktators Pinochet tatkräftig
mitgeholfen. Wahrlich keine Werbung für den kommende Invasion in den Irak.
Zweifel an der Echtheit des Dokuments dürften mittlerweile ausgeräumt sein. Die
vorübergehende Verhaftung einer Mitarbeiterin des britischen Geheimdienstes Government
Communications Headquarters (GCHQ) am Wochenende spricht auch dafür. Eine 28jährige
Frau wurde aufgrund des Verdachts, geheime Informationen verraten zu haben, verhört und auf
Kaution wieder freigelassen. Nach dem Observer war das Memo von britischen
Geheimdienstmitarbeitern, die sich dem Verlangen von amerikanischer Seite widersetzen
wollten, der Zeitung zugespielt worden.
Auch GCHQ war angefragt worden, beim Ausspionieren zu helfen. Bekanntlich sind Kreise
des britischen Geheimdienstes von der Blair-Politik nicht überzeugt ( Lesen Sie den
CIA-Bericht noch einmal!). Möglicherweise musste wegen des Boykotts dann das
Blair-Dossier über die Vergehen des Irak weitgehend aus dem Internet mit Cut-and-Paste
kopiert werden ( Geheime Cut-and-Paste-Informationen). Das Plagiat wurde schnell
bekannt und unterminierte die Glaubwürdigkeit der britischen und der amerikanischen
Regierung noch einmal, wie dies jetzt auch die UN-Waffeninspektoren gemacht haben, die die
angeblichen mobilen Labors als nicht-existent bezeichneten oder gar von Fakes der
Geheimdienstinformationen sprachen, was das angebliche irakische Atomwaffenprogramm
betrifft.
Ob die beabsichtigte UN-Untersuchung des amerikanischen Ausspionierens von
UN-Delegierten irgendeine Wirkung haben dürfte, sofern sie tatsächlich stattfinden sollte, darf
man bezweifeln. Der wohl bald startende Krieg wird das zu einer Lappalie machen, und
andere Länder, die ähnliches betreiben, dürften nicht wirklich interessiert sein an einer
solchen Untersuchung. Der Echelon-Skandal hatte zwar auch zu einem Ausschuss des
Europäischen Parlaments geführt und ist in einen Bericht gemündet. Aber damit hatte es sich
auch schon. Bedingt geschützt sind vor den Lauschaktionen der jeweiligen Geheimdienste
jeweils nur die eigenen Bürger. Im Ausland fallen alle Beschränkungen.
Für den Observer geht die Lauschaktion von höchsten Kreisen der US-Regierung aus.
Angeblich sei sie von der Sicherheitsberaterin Rice befohlen worden, Kenntnis davon aber
müssten auch Verteidigungsminister Rumsfeld, CIA-Chef Tenet, NSA-Chef Mayden und
schließlich Bush selbst haben. Nachdem offensichtlich das Memo auch beim GCHQ, das
Echelon-Lauschposten betreibt, angekommen ist, könnte es an alle an diesem Lauschsystem
beteiligten Geheimdienste, also die von Neuseeland, Australien und Kanada, gegangen sein.
Kommentare:
sorry (blackflag, 11.3.2003 2:29)
Global Hawk (blackflag, 11.3.2003 2:26)
Die Geburt einer Nation (am Beispiel Europa) (Der Fahrer, 11.3.2003 0:26)
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last modified: 10.03.2003
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