Das Geheimnis der falschen Mülltüten
Ich habe sie erwischt. Es sind erwachsene Leute in bunten roten Kostümen die einen spitzen Hut auf dem Kopf haben. Die sind aus der Festhalle gekommen mit dick gefüllten blauen Mülltüten in den Händen. Und sie haben sich umgeschaut, wohin damit. Also von irgendeinem Verein sind die also und in den Tüten ist der Müll der Feier von gestern. Also war es niemand aus unserem Haus.
Ich habe gestern einen Film gesehen, eine dreistellige Zahl die am Anfang und am Ende die drei und eine Art Palindrom ist, wenn nur die drei nicht absolut einseitig sich öffnen würde, aber der Fil hat mich wie lange nicht mehr berührt denn es gibt darin eine echte Szene die einer echten Szene ähnelt die ich Weihnachten 1976 auf dem neu verlegten Wohnzimmerteppichboden graue robuste Schlinge unter den schwarzen Flügel erlebt habe und von der ich glaubte sie nie im Leben zu erleben. Einen Kuss. Ich hatte diese Geschichte aufgeschrieben auf zehn Seiten für einen Literaturwettbewerb in Mainz aber ich war wohl auf die Seite jung und naiv abgelegt, man suchte ja auch einen Stadtschreiber für ein Jahr und da soll man auch ein wenig präsentabel sein und das ist vielleicht sogar wichtiger als zu schreiben.
Der Fil ist übrigens Absicht gewesen, einen Faden, der rote, der fehle mir, so sagte Schulz, in meiner Arbeit, und ich saß da auf dem Stuhl ihm gegenüber und konnte gar nicht aufhören zu erzählen so daß er ab und zu erst verstohlen, dann deutlicher zu seiner Armbanduhr schaute. Irgendwann später sagte er wie nebenbei, glauben Sie nicht ich hätte Ihre Agitiertheit nicht bemerkt, dieser Satz entfaltete ein wenig mit Verspätung seine Wucht, das Amphetamin, klar, zu Anfangs war ich ja eher so gar nicht gesprächig, immer ängstlich vor so hohen und wichtigen Professoren etwas Falsches zu sagen. Antonietti war da ganz anders. Ein unglaublicher Angeber der leider auch noch Talent hatte. Und ein gemeiner Dieb dazu. Er bediente sich wo er wollte. Ganz zu Beginn machte Antonietti gemeinsame Sache mit Schuster aus Columbien, es ging natürlich um Kokain, aber ich raffte das nicht. Schuster war auch ein Einserstudent in allen Fächern und Diplomatensohn, die Eltern im fernen Kolumbien wo er von der deutschen Schule kam. Das alles waren mir völlig unbekannte Welten auf die ich in der gemeinsamen Arbeitsgruppe traf, der Trottel Corzilius dem ich die Klausur physikalische Chemie quasi schenkte, meine Arbeit unter seinem Namen abgab , nur weil ich schon genügend Punkte hatte und er mir leid tat in seiner absoluten Trotteligkeit, und dann wurde er sogar noch vom Assistenten der Übungsgruppe vor allen anderen gelobt, zu seinem Glück mußte er nicht vorrechnen, aus ihm würde doch noch was, erste Klausur Null Punkte oder einen Punkt, und dann die nächste überdurchschnittlich, so könne man sich steigern wenn man nur lerne so der Übungsleiter, ich war eher ängstlich nicht aufzufliegen und hoffte die ganze Stunde der Corzilius würde nicht an die Tafel gebeten.
Das war eine Zeit in der ich schon verheiratet war und auf dem Unicampus in einer schnuckeligen kleinen Apartmentwohnung mit Balkon Dusche, Küchenzeile großem Ikea-Doppelbett, großer gemeinsamer bettdecke und schwarzem Klavier wohnte, das Klavier von meinen Nebenbeiklavierstunden und Ferienjobs abstotternd, ich bekam nur halbes Bafög weil die Eltern an der Vermögensgrenze sich befanden und zuzahlen hätten müssen was ich einklagen hätte können so die Beamtin aber nicht tat. Mutter hatte ohnehin zweihundertzwanzig von meinen dreihundertachtzig Bafög für Kost und Logis einbehalten als ich im ersten und zweiten Semester zu Hause wohnte in dem Haus das ich gerade mit erbaut hatte in den letzten beiden Jahren, an allen Abenden und den Wochenenden, und ich kam aus, mit dem Rest, ich war im Sommer drei Monate Werkstudent, fuhr mit dem Chemiker Hachenberg der einen irrsinnigen Bleifuß hatte jeden Tag von Walluf nach Frankfurt-Höchst, wir durften sogar hineinfahren ins Werk, er war was Höheres, ich arbeitete unter ihm, er im ersten Stockwerk, ich im Keller in der Arbeitsgruppe Gasanalyse, wir füllten Chromatographiesäulen für die Gaschromatographie, lange Stahlröhrchen die luftfrei mit einer Art Sand befüllt wurden und dann aufgerollt wurden, eine Einstichstelle aufgeschraubt bekamen und dann mit vorgefertigten Mischungen verschiedener Gase und vergasbarer Flüssigkeiten geeicht wurden. Man wußte, lässt man die Säule bei dieser Temperatur und diesem Trägergasdurchfluß laufen und hat eine unbekannte Mischung eingespritzt, dann kommt an dieser Stelle der Alkohol. Oder das Octan. Die absolute Menge bestimmte man in dem man Dreiecke zeichnete auf dem Papier, über den Zeigeraufzeichnungen (Peaks) die etwa geschätzt die Fläche des Peaks wiedergaben und das Gewicht mit denen aus den Eichkurven die man mit bekannten Mengen erstellt hatte verglich.
Ich verstand diese Dinge alle sofort und war direkt an allen Orten des Gaslabors voll einsetzbar obwohl die gut eingearbeitete Mannschaft dort im Labor wirklich täglich ihre Witze über sogenannte Abiturienten riß, wozu ich natürlich in ihren Augen gehörte, aber ihren Witzen zufolge hatten meine Vorgänger sich wohl ziemlich blöde angestellt. Ich ärgerte mich, weil ich anerkannt werden wollte, schließlich hatte ich da schon viel mehr chemisch praktische Erfahrung als im Grunde alle meine Mitstudenten, sagte gar nix zu den Frotzeleien die im Grunde hießen Abiturienten sind im Grunde für den Job hier zu blöde, hier hat man es mit realen Dingen zu tun und nicht mit schlauem höherem Gerede.. Ich schwieg also, ärgerte mich und gab mir ganz besonders Mühe alles ganz genau und exakt zu machen. Einem älteren, sehr redegewandten, leicht korpulenten und unglaublich freundlichen Mann der wie er sagte, gar nichts von Chemie verstehe und nur zur Betreuung der Gäste zuständig sei, der zu jeder Situation irgendwie passende und verbindende Worte fand bin ich im Laufe der drei Monate dann aufgefallen und durfte mit zum auswärtigen Mittagessen mit wichtigen Besuchern gehen, in eine viel bessere Kantine, er fuhr mit dem großen Firmenwagen vor und holte mich ab, ich solle einfach nur mal mitgehen und so sehen was ein Chemiker sonst noch zu tun bekommen kann, einen Einblick bekommen, ich erinnere mich nicht was er sagte, ich habe nur den Eindruck es handelte sich um einen freundlichen Mann. Eigentlich der erste der mir begegnete. Ich sah eine Art Conferencier in ihm, die Sorte Mensch die ich einmal jährlich als kleiner Junge erlebte beim Altennachmittag in der Turnhalle wo der kleine Matthias Schmidt angekündigt wurde mit Für Elise und das Gemurmel der Kaffee und Kuchentische schon gleich nach den ersten paar Klängen einsetzte und ich tapfer zu Ende spielte und kurz vor dem Ende immer so schrecklich freudig fast aufgeregt war daß die ganze heilige Scheiße zu der man mich da jährlich nötigte und ich genötigt und wegen der Limonade hinterher zusagte und mir nach meinem Vorspiel diesen komischen Mann auf der Bühne anschaute für den Rest der Zeit und es soviel Kuchen und Limo gab wie ich nur wollte und ich feststellte, man kann gar nicht soviel wie man gerne hätte wollen mögen, sowas gabs zu Hause nie, gut, Hefekuchen, sonntags, aber Limo, niemals, nicht mal Saft, und Sprudel war streng rationiert und nur für Papa freigeschaltet. Einer der auf dem Bau schafft der darf auch soviel Sprudel trinken wie er möchte. Trinkt Kranenwasser.
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