Was Jungen vom Lesen halten
Lesen als Sportart
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Verlierer in Sachen Bildung
In einer großen Umfrage unter mehr als 2000 Schülern zwischen 12 und 15 Jahren gaben 61 % aller Jungen an, noch nie freiwillig ein Buch in die Hand genommen zu haben – gegenüber 29% der Mädchen. Jungs geraten nicht nur beim Lesen ins Hintertreffen, sie gelten mittlerweile generell als Verlierer in Sachen Bildung. Lange haben sich Pädagogen und Bildungspolitiker mehr um die Mädchen gesorgt. Heute machen mehr Mädchen als Jungen einen qualifizierten Schulabschluss und es studieren mehr junge Frauen als junge Männer. Die männliche Leseunlust ist dabei nur ein Symptom. Katrin Müller-Walde, Journalistin und Bundesvorsitzende von »Mentor – Die Leselernhelfer e.V.« erklärt, dass es eigentlich um ein viel umfassenderes Problem geht, nämlich darum »dass Jungs sich schwer tun, ihre Rolle in der Gesellschaft zu finden.« Und nicht nur die Jungen, auch viele Erwachsene haben »mit dieser sich verändernden Rolle von Mann, Vater oder Ernährer in der Gesellschaft enorme Schwierigkeiten,« sagt Müller-Walde.
Weiblich orientiertes Schulsystem
Einer der Stolpersteine ist dabei unser feminisiertes, weiblich orientiertes Schulsystem - das bedeutet, so Müller-Walde, »dass bestimmte Verhaltensweisen, nämlich die von Mädchen, bevorzugt akzeptiert werden und die von Jungen nicht toleriert werden.« Sich mit anderen messen, sich auseinanderzusetzen, sich auch mal raufen, das findet in der Schule kaum noch Platz. Jungs merken, »dass sie immer weniger Chancen haben, das, was sie als vermeintlich männlich empfinden, also die sogenannten archaischen Tugenden, leben zu können, und das führt dazu, dass sie sich als Jungen nicht gewertschätzt fühlen.« Bei vielen, das beobachten Bildungsforscher seit langem, macht sich dann Aggression oder Resignation breit: »Wir haben ja eh keine Chance, das ist mir alles viel zu anstrengend, dann mache ich eben gar nichts mehr.« Wozu also noch lesen?
Ist Lesen »weibisch«?
Und ist es nicht auch so, dass es vor allem Frauen sind, die sich fürs Lesen stark machen? Müller-Walde: »Das geht bei vorlesenden Müttern los, das geht bei Grundschullehrerinnen weiter, bei Lehrerinnen grundsätzlich, auch in den weiterführenden Schulen, in den Buchläden finden sie Frauen, in den Lektoraten finden sie Frauen, überall finden sie Frauen die das Lesen propagieren, während aber Männer – vor allem jüngere - das Lesen nicht propagieren.« Unter diesen Vorzeichen haken Jungen das Lesen leicht als »Frauensache« ab: »Das Gefühl, das sie entwickeln, ist: Ich will ein Mann werden, ich weiß zwar noch nicht, wie das geht, aber bevor ich was Falsches mache, mache ich erst mal all das nicht, was Frauen tun. (…) Lesen ist aus ihrer Sicht weibisch: 'Das wollen wir nicht, wir wollen ja Männer sein, und deswegen lesen wir nicht'.«
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