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wuming schrieb am 16.6. 2007 um 22:56:58 Uhr über

Musikerin

PORTRAIT


Ein Portrait über Christian Wolz von Elisabeth Nehring
Deutschlandfunk im Januar 2004


Die Klangwelt Christian Wolz‘ ist sanfter geworden. Sein neues Album mit dem Phantasietitel &Mac226;Ratárr‘ läßt fremde Welten entstehen; die Töne, die er seiner Kehle entlockt, klingen nach Wüste und Meer, nach fernen Ritualen, sakralen Gesängen und vergessenen Reiseerinnerungen. Sie hallen lange nach, um abrupt wieder zu enden, überlagern sich, fließen ineinander und ziehen dann wieder eine einsame Bahn in das Ohr des Hörers. Mal mystisch, mal rituell, mal ganz modern.
Die Musik auf &Mac226;Ratárr‘ gleicht einem Trip um die Welt und darüber hinaus, in noch ganz andere Fernen. Aber Christian Wolz hat seine Hörer auch schon durch die Hölle geschickt.

In seiner &Mac226;Schmerzarie‘ hat er den Schmerz in seinen verschiedenen Stadien zu Tönen werden lassen. Seine Stimme, die mal krächzt, mal tremoliert, dann leise wimmert um sich bis zum langgezogenen Schrei aufzufächern, attackiert den Hörer geradezu. Besonders beeindruckend, ist es, das bei einer Performance zu erleben: mit verschieden ausgesteuerten Mikrophonen elektronisch verstärkt, verzerrt oder vervielfacht, kommen die Stimmen und Geräusche aus verschiedenen Richtungen, wirbeln um und schließlich in den Kopf. Verstörend, erschreckend und erschöpfendwahrscheinlich mehr für den Zuhörer als für den Künstler selbst.

Mit seiner Kunst setzt Christian Wolz eine Art Gegenprogramm zu Oberflächlichkeit, leichter Kost und Konsumfreudigkeit. Schmerz, Angst, Lust, Sterben und Tod sind seine Themen. In der Performance ASHYXIE hat er den drohenden Tod eines Erstickenden nachempfunden, mit seiner Oper &Mac226;Cor‘ dem Leiden von Aids-Kranken Ausdruck verliehen.

Was so erschreckend klingt, ist das Ergebnis einer selbst entwickelten Vokaltechnik, die sich Formen arabischen oder mongolischen Gesanges genauso anverwandelt wie das Zungenreden oder indianische Schnalzlaute. Die Arten, die verschiedensten Töne aus der Kehle zu locken, scheinen für Christian Wolz unerschöpflich.

Das Hören seiner Werke verlangt nicht allein Konzentration, sondern auch eine gewisse Öffnung, eine Bereitschaft sich einzulassen auf eine Kunst, die nicht bequem ist und gut unterhält, sondern den Hörer in seiner tiefen Emotionalität treffen will. Und so wird auch für den Künstler selbst die Intuition zum wichtigsten kreativen Mittel.





Ein Klang durchmisst die Welt
Ein Portrait über Christian Wolz, Stimmkünstler und Fotograf (1992) von Bernd Feuchtner
Tagesspiegel 1992

Man erzählt von Leuten, deren Stimme Glas zersingen kann. Das zeigt die alte Faszination dieses menschlichen Organs, dem schon der Mythos übernatürliche Kräfte zumaß. Christian Wolz zersingt zwar kein Glas, aber wenn er bei einem Auftritt seine Stimme erschallen läßt, jagt dies den Anwesenden erst mal einen Schauer über den Rücken.
Da ist ein elementarer Ton in hoher Lage, stahlklar zunächst, der dann in schriller Dissonanz zu vibrieren beginnt und dabei langsam absinkt. Ein leise gesummtes Motiv gewährt ein kleines Aufatmen. Rasselndes Luftholen, erneut bohrt sich ein tremolierender Lautstrahl durch den Raum, Schrei einer besessenen Seele.
Christian Wolz hat aber nicht nur die Stimme, um sich künstlerisch auszudrücken. Angefangen hat er mit Fotografie. Er stellte Diafolgen zusammen, die Bilder sind mit Skalpell und Klebstoff bearbeitet, verfremdete Selbstportraits, Gesichter lösen sich auf in Staub. Mit irgend beliebiger musikalischer Untermalung gab er sich nicht zufrieden, also begann er dort zu singen. Das war im »SO 36«, in verschiedenen Galerien und im Februar 1991 in der HdK in Berlin, auch während der »Art Cologne 91«. In Erinnerung ist noch der Auftritt im Lindentunnel Anfang dieses Jahres, den die »Freunde guter Musik« in Auftrag gegeben hatten.
Im Tunnel fing auch an, was heute die Technik liefert: dort sang und schrie Wolz ungeniert die Stimme aus, um Halleffekte auszuprobieren. Andere elektronische Verfremdungen sind dazugekommen. Bei seinem Stück »Venus« überlagern sich fünf Bänder, die ihrerseits manipuliert sind, bilden Interferenzmuster aus unverständlichen Lauten. Das geht natürlich nur mit einer so farbenreichen Stimme und wenn man eine so klare Vorstellung von Form hat. Sonst wären es nur minimalistische Müsterchen statt musikalischer Sätze.
Auch mechanische Manipulation gehört dazu - »das so zu machen, daß ich keine blauen Flecken davon kriege, habe ich schnell gelerntlacht Wolz auf. Er legt mir eine Platte auf. Diamanda Gallas, in Berlin war sie im Hebbeltheater und im Metropol zu erleben, ist eines seiner Vorbilder - »immer Frauen, denn Männer sind mir zu technisch, in der Stimmführung wie instrumental« - auch Cathy Berberian und der amerikanische Deodada der 60er Jahre oder Liza Gerard. Frauen, die ihren Stimmen ekstatischen Ausdruck entlockten. Außerdem exotische Gesänge, nein, weniger die bulgarischen Frauenstimmen als Arabisches, das er im Radio oder im Völkerkundemuseum gehört hat.
Diamanda Gallas feiert Rituale der Verzweiflung, schreit an gegen den Aidstod, aber Christian Wolz findet, daß dieser Gesang Energie gibt. Auch in seinem Freundeskreis hat Aids zugeschlagen, es gehört zu seinem Themen, ebenso wie die Gewalt gegen Frauen, Schwule, Ausländer, wozu er eine Klanginstallation gemacht hat. Und wenn er zur Zeit eine Trilogie über Geburt, Leben und Tod produziert, klingt das gar nicht morbid, sondern sehr kraftvoll.
Selbst Stücke, die beim ersten Hören durch ihre Schrillheit verstören, erweisen sich später als fantasievolle Erprobungen der eigenen Kraft. Diese Geburten sind nicht so sehr schmerzhaft als vielmehr erfüllt von Omnipotenzwahn. Der Hall entgrenzt den Raum, das ist wie Singen in der Badewanne. Die Welt gehört mir, sagt diese Musik, singend erobere ich sie mir.
Für sich hat Christian Wolz noch nicht so viel erobern können. Der Fünfundzwanzigjährige, in weißen Jeans und weißem T-Shirt, sitzt mir in der kleinen Küche einer Einzimmerwohung ohne Bad gegenüber, in einem Moabiter Hinterhof. Im Zimmer sind die Dielen weiß gestrichen, das Regal verschwindet hinter einem schwarzen Vorhang, aus Metall sind das Schubladenschränkchen für die Fotos und das Regal, in dem die Anlage und die Platten stehen. Im Seitenflügel gegenüber wird gerade das Dach aufgestockt, und auch Wolz bekam gerade die Mieterhöhung in den Kasten. Nutznieser der Modernisierung Berlins ist er nicht.
Er lebt bewußt und gesund, sagt er, kocht naturbelassene Produkte und trinkt Tee. Zwei Laster allerdings: Zigaretten und Schokolade, beides freilich in Maßen. In Berlin geboren, wuchs er in katholischer niedersächsischer Provinz auf, und in diese Vergangenheit kriecht er dann und wann zurück. Ein Requiem gestaltete er als Widerhall gregorianischer Gesänge, über die sich ein verzückter Sopran legt, die reine Regression, Geborgenheit und Abstoßung zugleich, betitelt als Grabgesang »für uns Totgeburten«. Auch der Mittelaltertrend hat es ihm manchmal angetan, mit Trommelschlägen und Altertümelei.
Christian Wolz fixiert seine Stücke nicht, sondern entwirft nur ein Formschema, nach dem jedes Mal spontan improvisiert wird. Ob im Aufnahmestudio für seine erste CD »El Castata« oder beim Live-Auftritt, die Tagesform ist entscheidend. Alle Techniken hat er sich selbst beigebracht, er scheut Gesangsunterricht, weil er Angst hat, nach dem Schema des Lehrers umgeformt zu werden. Aber Wolz hat alles, was es braucht: eine natürlich kräftige Stimme und eine entwickelte Atemtechnik, die er bei einer Krankenpflegerausbildung im Zivildienst gelernt hat.
Alles andere hängt von der Psyche ab. »Ein Kloß im Hals kommt von dem, was du vorher alles geschluckt hastAm Anfang hatte er noch Panik, wenn vor dem Auftritt die Stimme weg war: sobald es losgeht, ist sie ganz wieder da.
Wer Wolz-Titel im Lexikon sucht, wird oft wenig finden. Dann sind es Fantasieworte, frei assoziiert - »Antimedeum«, »Citoma«, aber auch »Predigt für höhere Töchter«. Produktiv war für ihn oft die Zusammenarbeit mit anderen Musikern, mit Percussionisten beim Projekt »Dämonium/Satanas/Luzifer«, mit Jazzern, mit der Cellistin Reinhild Mehling. Deren ruhigen Brummton umspielt er, fächert ihn auf vom Geräusch bis zur Kantilene, die sich aus Ritualgesängen von Europa über den Nahen Osten bis Tibet zu speisen scheint, bis er nach der Erdumkreisung in den Instrumentalton zurückkehrt. Weltschmerz 1992.





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