Einstieg in den Unfrieden
Schwarz-Gelb kippt den Atomausstieg. Das ist fatal, weil unnötig. Und dumm, denn es kippt den gesellschaftlichen Frieden gleich mit, der seit dem Atomkonsens von 2000 im Kampffeld Kernenergie geherrscht hat. Die Entscheidung der Bundesregierung, die AKW-Laufzeiten zu verlängern, wirft nicht nur den Umbau des Stromsektors zurück, bremst Zukunftsbranchen und reanimiert eine Risikotechnologie, die selbst nach Meinung ihrer Befürworter Mega-Katastrophen auslösen kann. Sie belastet auch das Gesellschaftsklima, ohne dem Weltklima zu helfen.
Das nach Alter der Reaktoren gestaffelte Laufzeitplus, das die Bundesregierung plant, ist kein salomonischer Kompromiss. Das könnte man zwar denken, vergleicht man es mit den Extremforderungen der Stromkonzerne oder der Atomhardliner in Union und FDP. 20 Jahre plus wären prima, bedeutete RWE-Chef Jürgen Großmann Angela Merkel und ihren Ministern just am Sonntagmorgen vor ihrem Showdown im Kanzleramt noch einmal. Sogar 28 Jahre oder gar eine völlige Freigabe der Laufzeiten hatten die Atomhardliner in der Union gefordert – also ein Abschalten nicht vor 2050. Gemessen daran hätte jeder Kanzleramts-Kompromiss moderat gewirkt. Aber er ist es nicht.
Denn klar war auch, dass die Jahreszahlen willkürlich gegriffen würden – ein schwarz-gelber Mittelwert, gebildet aus Lobbydruck, staatlichen Finanznöten, Energieideologie und verfassungsrechtlichen Erwägungen. Sie haben mit einer objektiven Herleitung aus einem wissenschaftlich entwickelten Energiekonzept nichts zu tun. Letzteres hatte Schwarz-Gelb zwar angekündigt. Doch aus dem vor einer Woche vorgestellten Gutachten ließ sich ein Vorteil für eine Laufzeitverlängerung allenfalls in jenen Varianten herauslesen, in denen die in den 1960er Jahren entwickelten Altmeiler nicht auf eine modernen, vertretbaren Stand nachgerüstet werden. FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle blieb unbeeindruckt. Er verfuhr nach dem Motto: Vertraue keiner Studie, die du nicht selbst uminterpretiert hast. Schwadronierte, ein Laufzeitplus von bis zu 20 Jahren sei volkswirtschaftlich richtig. Zu deutsch: Mehr Profit dank weniger Sicherheit. Eine zynische Gleichung.
Dass Schwarz-Gelb nicht die 20 Jahre Plus anpacken wird, ist vor allem dem Widerstand im Bundesrat geschuldet. SPD- und drei CDU-geführte Länder stellen sich quer. Sie drohten mit dem Gang nach Karlsruhe, das macht Eindruck. Doch eine „moderate“ Laufzeitverlängerung, wie Merkels Mann fürs Grüne, Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), sie gefordert hatte, maximal acht Jahre, kam offenbar auch nicht heraus. Er hat eine Schlappe eingesteckt, die nur durch die wahrscheinliche frühere Stilllegung von Uralt-Meilern gemildert wird.
Die energiepolitische Klarheit ist auch am Sonntag nicht eingekehrt. Erstens halten viele renommierte Verfassungsrechtler die Bundesrats-Zustimmung in jedem Fall für zwingend. Nicht ausgeschlossen, dass Karlsruhe den Ausstieg aus dem Ausstieg kippt. Zweitens haben SPD und Grüne klar gemacht: Im Falle eines Regierungswechsels 2013 würden sie jede Laufzeitverlängerung streichen. Verhandlungen mit den Stromkonzernen wie vor dem Atomkonsens werde es dann aber nicht mehr geben. Zu dieser „vertragsbrüchigen Truppe“ könne man kein Vertrauen mehr haben.
Der halbe Erfolg von Eon, RWE und Co. könnte also nach hinten losgehen. Das Oligopol der vier Konzerne, die 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms produzieren, hat zwar einstweilen sein Hauptziel erreicht – die Festigung seiner Marktmacht. Die „Großen Vier“ können ihre abgeschriebenen AKW weiterbetreiben und die Konkurrenz der Stadtwerke und anderer Stromproduzenten in Schach halten. Doch ihr Kredit in der Politik nimmt weiter ab. Schon im dem für sie schockierenden, da völlig unerwarteten Laufzeitstreit mit der „Traumkoalition“ von Union und FDP mussten sie das spüren. Doch es kann mittelfristig noch viel ungemütlicher werden.
Prognose: Schon bald werden die Konzerne sich nach alten rot-grünen Zeiten zurücksehnen. Damals handelte der „Genosse der Bosse“ Gerhard Schröder ihnen zwar den Ausstieg ab. Aber er verschaffte ihnen auch einen politisch störungsfreien Restbetrieb der AKW, erlahmende Castor-Demos und die Chance, ihr Geschäft zu modernisieren. Künftige Regierungen werden darauf achten, nicht mehr wie der „verlängerte Arm der Konzerne“ (Merkel) zu wirken.
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