mcnepsTexte
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mcnep schrieb am 5.4. 2004 um 15:34:25 Uhr über
Flatulenzen
Ohne jeden Zweifel ist ‚Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe‘ das bedeutendste filmische Kunstwerk aller Zeiten. Es ist wohl kaum ein Zufall, daß drei Jahre zuvor Pier Paolo Pasolini sein tragisches Ende finden mußte, um in diesem mit Elementen der Groteske ausgestatteten Drama des Meisterregisseurs Jean Girault die Vollendung seiner zentralen Werkkomplexe zu erfahren. Von parabelhafter Strenge wie Teorema, neorealistisch in der Schilderung der einfachen Menschen wie Accatone, mythisch überhöht wie die Medea, den Zusammenhängen von Regression und Aufklärung, Faschismus und Verdauung nachspürend wie Salò, zugleich jedoch sinnenfroh die Burlesken ‚La Ricotta‘ und ‚Große Vögel, kleine Vögel‘ hypostasierend, ist dieses Spätwerk Louis de Funès die Erfüllung aller Versprechen, die das Genre Film seit den Tagen von Melies und Griffith einzulösen sich bemüht. Die Handlung ist vordergründig simpel: Claude, ein Bauer an der Schwelle zum Greisentum, lebt mit seinem körperbehinderten Faktotum in ländlicher Zurückgezogenheit, Tröstung in seinem ausgepowerten Witwerdasein nur im Alkohol und dem regelmäßigen Verzehr von Kohlsuppe findend. Die hierdurch erzeugten heftigen Flatulenzen rufen einen Außerirdischen herbei, der im Verlauf des Filmes mehrfach als Deus ex machina fungiert und Claude unter anderem in einer Travestie des Orpheus–Mythos seine um fünfzig Jahre verjüngte tote Gattin wiedergibt, ihn zum Millionär macht und zuguterletzt mitsamt seines Grundstücks und des treuen Gefährten auf seinen Heimatplaneten Oxo transportiert. Auf dem Weg zu diesem Finale, das zugleich die Quintessenz aller Kontaktaufnahmephantasien der Spielberg/Lucas–Filmschule darstellt, gelingen Girault und Funès Szenen von unglaublicher Prägnanz und geistiger Schärfe. Wohl selten ist das Postulat der kritischen Theorie, wonach Aufklärung, die sich in den Dienst der Zementierung von Herrschaft stellt, ein Phänomen des Massenbetruges ist, überzeugender dargestellt worden, als in jener Szene, in der die vordergründig intakte Lebensumgebung von Louis und Francis umstellt von einem gigantischen Zaun ist, auf dessen anderer Seite die restliche Dorfbevölkerung die alten Männer, die sich dem Bau eines Freizeitparks, der von einem skrupellosen neoliberalen Bürgermeister unter der menschenverachtenden Prämisse der Beseitigung von Arbeitslosigkeit initiiert wurde, mit Erdnüssen beworfen werden. Auch die Travestie des Orpheus–Mythos ist von unerreichter Meisterschaft: Sind es letztlich Claudes Darmwinde, die ihm seine verstorbene Gattin zurückbringen, so läßt er sie doch leichten Herzens fahren (sic), nachdem er sie zuvor als Friedhofsdirne und Puderdose apostrophiert hat. Auch schauspielerisch vermag der Film zu überzeugen: In einer seltenen Subtilität beim Einsatz seiner mimischen Mittel atmet Funès Darstellung des Bauern Claude etwas vom verdämmernden Glanz Heinrich Schütz‘ Schwanengesang, gepaart mit der Intensität des späten Bernhard Minetti. Ein Film, der einem Atemzug mit Godards Maskulin/Feminin genannt werden müsste, würde hierdurch nicht die alles überragende Qualität von Giraults Meisterwerk in unangemessener Weise relativiert.