entblaut
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Vor ein paar Tagen sprach mich ein etwas älterer aber gutgekleideter Herr an und fragte mich, weshalb mein Jeansoverall an manchen Stellen so entblaut ist und ob ich mir keine vernünftig neue Kleidung leisten könnte.
Ich wußte erst nicht, was er eigentlich meinte, dann versuchte ich ihm zu erklären, daß das eine Waschung ist und die Jeans heute schon so im Laden hängen. Manchmal haben sie auch Risse und Löcher. Aber das ist ganz normal und keineswegs ein Zeichen von wirklicher Abnutzung oder sogar Verschlissenheit. Diese Sitten waren ihm neu. Vielleicht hatte er eine Zeitlang im Gefrierfach gelegen oder war sonst irgendwie der Welt entrückt.
Er streckte die Hand nach mir aus und wollte die Stellen, die entblaut waren mal anfassen um die Stoffqualität zu beurteilen. Ich merkte, daß ich ein Mann vom Fach vor mir hatte, der vielleicht nicht mehr auf dem neuesten Stand war und ließ ihn gewähren. Mit geübten Griffen befühlte der die hellen und dunklen Stellen an dem Overall, streichelte über den Stoff mit verschiedenem Druck, zupfte dran und kratzte ein wenig mit dem Fingernagel. Hier innen am Beinansatz wird der Stoff oft sehr beansprucht, sagte er, besonders beim Fahrradfahren. Nach längerer Prüfung stellte er aber fest, daß mein Jeansoverall noch ganz gut in Schuß war. Ob ich ihn für eine weitere Untersuchung mal ausziehen könne. Da mußte ich verneinen und zeigte ihm das Kettchen mit dem kleinen Schloß, daß um meinen Hals unter dem Kragen gschlungen war und den Nippel des Reißverschlusses fest an seiner Position hielt. Den Schlüssel habe ich zu hause erklärte ich ihm, was er sehr ungewöhlich fand, aber auch hinnahm.
Da kam eine Frau auf uns zugestürzt: »Herbert, läß die Frau in Ruhe« fuhr sie ihren Mann an und erklärte mir, daß er lange in der Qualitätssicherung einer großen Schneiderei gearbeitet hat, nun aber manchmal nicht so richig weiß, wo und wann er ist.
Wir haben uns einfach nur nett unterhalten, erwiederte ich zu der Frau und verabschiedete mich.