Umkleideraum
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Einmal nach dem Schulsport entdeckten wir in unserem Umkleideraum einen Klassenkameraden, der sich versteckt hatte, um uns zu beobachten. Wir zerrten ihn hinter dem Vorhang, der eine Ecke für Besen und Eimer abgrenze, hervor und stellten ihn zur Rede. Er sagte, fast im Heulen, er sei von den anderen Jungs dazu gezwungen worden. Sie haben ihn hier herein gestoßen und die Tür zugehalten. Dann sind wir gekommen und da habe er sich schnell versteckt.
Ich glaubte ihm. Andreas war ein eher schüchterner schmächtiger Junge. Er wäre unmöglich auf alleine auf diese Idee gekommen. Zumal der Vorhang nicht bis zum Boden ging und man ihn so sehen konnte.
Aber Jana spielte sich als Wortführerin auf: »Du hast uns beim Umziehen zugeschaut, dann werden wir Dir zuschauen.« Andreas nickte. Aber die Jungs hatten früher schluß gemacht und deshalb war Andreas schon umgezogen. Er wollte rübergehen und seine Sportsachen holen. Das ließ Jana aber nicht zu, weil sie Angst hatte, er haut ab. Sie sagte: »Nimm doch Jessicas Sachen.« Ich wollte erst protestieren, aber gab dann klein bei und reichte Andreas meinen Turnbeutel. Er nahm ihn und fing an sich auszuziehen. Wir standen alle um ihn herum. Ich fand das total mutig von ihm. Schließlich stand er im Slip vor uns. So schmächtig war er garnicht fand ich.
Ich machte meinen Turnbeutel auf und reichte ihm mein Sportzeug. Einen Gymnastikanzug hatte Andreas noch nie in der Hand oder geschweige denn an. Er wurde unsicher und drehte ihn hin und her. »Muß das sein?« fragte er. »Ja, das muß« sagte nun ich. Ich wollte ihn unbedingt so sehen und half ihm beim Anziehen. Ich hielt ihm den Anzug hin und er stieg mit beiden Beinen hinein. Gemeinsam zogen wir ihn hoch. Dann mußte er einen Arm hineinstecke und ich zog ihm den Anzug über die Schulter. Dann der andere Arm. Er reckelte sich ein wenig. »Das ist ein komisches Gefühl.« Sagte er, »Aber eigentlich ganz OK«. Er drehte sich ein paar mal, so daß wir ihn von allen Seiten ansehen konnten.
Dann rief jemand: »Die Müller kommt« ich gab Andreas seine Sachen und schob ihn wieder hinter den Vorhang. Frau Müller brüllte nur: Beeilung meine Damen die nächste Stunde fängt bald an. und verschwand wieder. Andreas hatte in der Zwischenzeit seine Sachen wieder angezogen. Wir sahen nach, ob die Luft rein war und schleusten ihn aus der Umkleidekabine. Noch eine Doppelstunde Englisch, dann war Schluß für heute. Beim Englisch fiel mir ein: Wo war eigentlich mein Gymnastikanzug? Im Turnbeutel war er nicht. Andreas saß vor mir. Ich fragte ihn leise. Er sagte nichts, sondern schob seinen Pullover ein wenig hoch. Da sah ich, daß er den Anzug noch anhatte. Mit meinen verschwitzten Sportsachen unter einem Pullover in der Schule zu sitzen ist doch nicht angenehm oder, dachte ich mir und mußte lachen.
Nach der Stunde erzählte mir Andreas, daß er nicht wußte, wie man den Anzug richtig auszieht. Er wollte ihn nicht kaputt machen.
Er kam dann mit zu mir nach hause, damit ich ihm etwas ausziehhilfe gebe. Aber das ist schon eine andere Geschichte.