Sushi
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Hitomi hat Sushi gemacht. Die kleine Gesellschaft sitzt um den wackligen Tisch, scherzt, genießt. Der Raum ist groß, doch leer, es stehen außer dem großen Bett und einem schmalen Regal nur die Stühle und der Tisch darin. Ja, und zwei Flügel, von denen Hitomi jedoch nur den einen spielt. Den andern hat sie von der Vormieterin übernommen, gegen ein geringes Entgelt. Sie hat schließlich nicht viele Möbel, so ist es ganz gut, daß der Platz genutzt wird. Die Küche ist klein und praktisch eingerichtet. Eine kahle, nüchterne Wohnung, die zu Hitomis zurückhaltender Art paßt. Aber so zurückhaltend ist Hitomi gar nicht. Sie lebt schon einige Jahre in Europa, hat sich den Europäern angepaßt, redet offener, kichert nicht mädchenhaft herum, sondern lacht lauthals, wenn ihr danach ist. Und sie schmiegt sich gerne an.
Wenn Hitomi Klavier spielt, tut sie das mit Leidenschaft und Ausdruck, ohne dabei ihre japanische Präzision zu vernachlässigen. Sie ist die beste der Pianistinnen am Opernhaus, bewältigt jedes Stück. Sie ist beliebt und gefragt. Aber sie ist allein. Sie denkt oft über ihr Leben nach. Wann ist der rechte Zeitpunkt für sie, nach Japan zurückzukehren? In Europa will Hitomi nicht alt werden. Sie kann es sich nicht vorstellen, fern der Heimat als alte Jungfer zu sterben. Ihre Eltern erwarten sie jährlich, machen sich neue Hoffnungen. Aber sie haben auch keinen Heiratskandidaten, der ihr recht wäre. Und selbst wenn, würde sie ihn aus Prinzip nicht akzeptieren. Auf einen Samurai kann sie gut verzichten.
Robert schaut nicht verstohlen zu Hitomi hin. Er ist ja nicht verliebt in sie. Doch läßt er keine Gelegenheit aus, sie scheinbar zufällig zu berühren. Denn danach hat er Sehnsucht. Sehnsucht nach Berührung, nach Flirt.
Ein Teil des herzig improvisierten Tischschmucks ist abgegangen. Ganz nebensächlich streifen sich ihre Hände. Hitomis Hände sind warm, weich. Schmale Finger stellen die Dekoration geschickt wieder her. Robert hilft ihr dabei. Die beiden anderen tun so, als bemerkten sie nichts. Vielleicht haben sie auch tatsächlich nicht registriert, daß beider Hände einander streicheln, daß die ganze Aktion nur dazu dient, sich hingebungsvoll zu liebkosen. Auch wenn diese Zärtlichkeit auf engstem Raum geschieht und quasi in der Öffentlichkeit, wenn sie auch noch so kurz andauert, so ist sie doch gerade deswegen intensiver als manch vollzogener Akt.
Senkrecht stehende Teeblätter verheißen Glück. Robert und Hitomi beobachten gemeinsam die gläserne Teekanne, versuchen den Tee herumzudrehen, was mißlingt, weil das Wasser in der Kanne am Ort verharrt. So tauschen sie wieder flüchtige Hautkontakte. Sie suchen nach den Glücksbringern. Auf japanisch heißen sie Chabashira.
Robert möchte gern noch bleiben. Die beiden anderen brechen schon auf, wie kann er unbemerkt hierbleiben? Es geht nicht. Robert geht mit hinaus, zögert jeden Schritt hinaus, zieht als letzter den Mantel an, steht noch in der Tür herum, die andern sind bereits im Treppenhaus ein Stockwerk tiefer, rufen herauf, leicht spöttelnd: „Willst du noch bleiben?“ Da geht er, geht zur Tür hinaus, ins Stiegenhaus, geht plötzlich weg, schnell, ohne Hitomi noch einmal zu umarmen. Und sie schickt ihm einen warmen Blick hinterher, einen Blick, der sagt: „Du kommst wieder, gell?“ und der sagt: „Wir verstehen uns“ und sagt „Ich sehne mich nach deiner Berührung.“ Denn Hitomi weiß, daß sie sich nicht verlieben darf, und Robert weiß, daß er ihr keine Hoffnung machen darf, und dennoch spielen sie ihr Spiel, genießen es, treiben es weiter... Robert erwidert Hitomis Blick, der ihn direkt ins Herz trifft. Das ist der Anfang einer Romanze, sagt er sich, so verliebt man sich. So darf ich mich nicht verlieben, schießt es ihm durch den Kopf.
Zu Hause macht sich Robert einen Tee. Er denkt an Hitomi, und er denkt an seine Verlobte. Er sucht Chabashira.