RudolfSteiner
Bewertung: 8 Punkt(e)
Weil wir in einem anthroposophischen Haus, so einer pilzförmigen Beton–Schieferkonstruktion, wohnten, interessierte sich meine Mutter eine Zeitlang für den Dornacher Schamanen. Einige seiner frühen Auslassungen zur 'sozialen Frage' waren ja auch ganz locksam für die eingefleischte Sozialdemokratin, und viele seiner Bauwerke habe den verschlumpften Charme eines kubistischen Jugendstils, als hätten es plumpe mechanische Feen erbaut. Aber für die spirituelle Seite hatte sie gottlob so wenig Verständnis wie alle in unserer vorsichtig gesprochen doch sehr diesseitigen Familie: Irgendwann schenkte ich ihr als Dreingabe RudolfSteiners »Anthroposophischen Seelenkalender« der für jede Woche des Jahres einen eurhythmisch geformten Sinnspruch aus der luziferischen Sinnschmiede barg, so vom Schlage:
An Sinnesoffenbarung hingegeben
Verlor ich Eigenwesens Trieb,
Gedankentraum, er schien
betäubend mir das Selbst zu rauben,
Doch weckend nahet schon
Im Sinnenschein mir Weltendenken.
Wie ich ihr derlei Herzensergießungen mit quasimodohaft über den Kopf gezogenem Pullover in einer Diktion, die an einen schwerstmehrfachbehinderten Klaus Kinski gemahnte, vorlas und wir uns beide vor Lachen auf dem Boden kringelten, zählt zu meinen ausgelassensten familiären Erinnerungen.