Retina
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Den Jupitermond Europa betrachtend, spürte Retina wie kalt es in ihr geworden war. Zitternd, der dünne Leib verkrümmt und bebend, schleppte sie sich zu ihrer Regentonne, schöpfte dampfenden, frisch gefallenen Absinth, schlürfte gierig, schöpfte wieder, schöpfte, schlürfte, ließ sich schließlich, völlig erschöpft in den heißen Wüstensand ihrer Träume sinken, die Beine Y-förmig von sich gestreckt.
Schwer atmend starrte sie in den nachtschwarzen Himmel. Es hatte ja zu schneien begonnen realisierte sie plötzlich, kam daher das kribbeln auf ihrer Haut?
Retina, stöhnte lautlos, erbrach sich vornübergebeugt zwischen ihre gänsehautbedeckten Beine.
»Warum muß ich immer sterben, wenn es Frühling wird?«, dachte sie enttäuscht, lächelte verschmitzt, zuckte verschwitzt.
Betroffen und auch etwas besoffen stellte sie fest, daß sich ihre Augen mit dicken heißen Tränen gefüllt hatten. Sie wischte die Tränen mit fahriger hand weg, die Haare hingen ihr strähnig in die Augen. Sie hasste ihre Haare.
Auf dem Grund vor sich sah sie eine blaue Glasscherbe funkeln, die sich in einer Glitzerträne auf ihrem Nasenrücken spiegelte.
Einem spontanen Impuls folgend faßte sie die Scherbe und begann sich ihre dicken Haare abzurasieren, in dicken Büscheln regneten sie zu Boden. Rasch fing es auch zu bluten an. Retina biß die Zähne zusammen, schüttete schnell noch zwei Becher Absinth in sich hinein und beendete ihr schmerzhaftes Werk.
»So!«, sagte sie befriedigt und begann zu schlummern. Noch dunkler war es sogar geworden jetzt. Zeit zu schlafen. Sie war so energielos.
Ein Rascheln ließ sie schließlich wieder aufschrecken. Hektisch blickte sie geröteten schlaftrunkenen Auges um sich um dann in zwei Schritt entfernung einen kleinen Skink zu entdecken.
Lange schauten sie sich gegenseitig an.
Dann lächelte sie sanft, zum ersten mal seit Wochen. »Na, wer bist du denn?«, fragte sie die etwas mißtrauisch blickende Echse, nahm sie sanft in die Hand und begann zaghaft ihre schuppige Haut zu streicheln. Sie hob den kleinen Skink an ihr Gesicht heran und küßte seine Stirn.
Dann biß sie ihm den Kopf ab.