Linnen
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Bertolt Brecht: Lied der verderbten Unschuld beim Wäschefalten
1
Was meine Mutter mir sagte
Das kann wohl wahr nicht sein.
Sie sagte: wenn du einmal befleckt bist
Wirst niemals du mehr rein.
Das gilt nicht für das Linnen
Das gilt auch nicht für mich.
Den Fluß laß drüber rinnen
Und schnell ist’s säuberlich.
2
Mit elfen war ich süchtig
Wie ein Dreihellerweib.
Und wirklich erst mit vierzehn
Kasteit ich meinen Leib.
Das Linnen war schon gräulich
Ich hab’s in Fluß getaucht.
Im Korbe liegt’s jungfräulich
Wie niemals angehaucht.
3
Bevor ich noch einen kannte
War ich gefallen schon.
Ich stank zum Himmel, wahrlich ein
Scharlachnes Babylon.
Das Linnen in dem Flusse
Geschwenkt in sanftem Kreis
Fühlet im Wellenkusse:
Jetzt werd ich sachte weiß.
4
Denn als mich mein erster umarmte
Und ich umarmte ihn
Da fühlt ich aus Schoß und Busen
Die schlechten Triebe fliehn.
So geht es mit dem Linnen
So ging es auch mit mir.
Die schnellen Wasser rinnen
Und aller Schmutz ruft: hier!
5
Doch als die andern kamen
Ein trübes Jahr anfing.
Sie gaben mir schlechte Namen
Da wurd ich ein schlechtes Ding.
Mit Sparen und mit Fasten
Erholt sich keine Frau.
Liegt Linnen lang im Kasten
Wird’s auch im Kasten grau.
6
Und wieder kam ein andrer
In einem andern Jahr.
Ich sah, als alles anders
Daß ich eine andre war.
Tunk’s in den Fluß und schwenk es!
‘s gibt Sonne, Wind und Chlor!
Gebrauch es und verschenk es:
‘s wird frisch als wie zuvor!
7
Ich weiß: noch viel kann kommen
Bis nichts mehr kommt am End.
Nur wenn es nie getragen war
Dann war das Linnen verschwend't.
Und ist es brüchig geworden
Dann wäscht’s kein Fluß mehr rein.
Er spült’s in Fetzen forten.
So wird es einmal sein.