Godspeed
Bewertung: 8 Punkt(e)
In einem schlimm nach Gras stinkenden Ford Escort Turnier sind wir mal nach Hamburg gefahren, um da in der Markthalle die Band mit dem langen Namen live zu hören. Erst hatte ich so ein bißchen befürchtet, da jetzt so einem lauen Kammerkonzert beiwohnen zu müssen, aber denkste, es war vor allem eins: unglaublich laut. Das war das lauteste Konzert, das ich je erlebt habe.
Zuerst hat eine gewisse Hannah Marcus gespielt. Es wirkte ein bißchen so, als ob man viel zu früh gekommen wäre: das Publikum hockte kollektiv auf dem Boden herum, unterhielt sich und trank Bier aus Plastikbechern, das Licht war noch an und die einsame Frau auf der Bühne hat ihr leises Folk-Geträller ab und zu unterbrochen, um zu lachen. Überhaupt, diese Frau: ich behaupte, das gesamte männliche Publikum war für eine halbe Stunde in sie verliebt, mich eingeschlossen. Hannah, ich möchte sie eigentlich nur beim Vornamen nennen, ist etwas pummelig, hat lange schwarze Haare und ein ungeheuer tolles Lachen. Drei oder vier Lieder hat sie nur gesungen, mit Klampfe, beim letzten hat sie sich auf einem Keyboard begleitet. Weil aber der Keyboardständer etwas wackelig war, ist ihr das Ding mitten im Song heruntergeknallt, wofür sie sich beim Publikum so wortreich entschuldigt hat, daß sie alle, glaube ich, einfach nur in den Arm nehmen und feste drücken wollten. Eine tolle Stimme hat sie auch, so eine Stimme können dünne Frauen bestimmt nicht haben. Dann wurde es aber dunkel. Alle sind Bierholen gegangen. Nach und nach, man hat's erst gar nicht bemerkt, sind dann neun oder zehn Gestalten aus der Finsternis auf die Bühne gekrochen und haben auf Klappstühlen Platz genommen. So sehen also Godspeed you black emperor! aus. Und dann ging das los. Brüllend laut. Ein unglaublicher Lärm. Zweieinhalb Stunden lang. Nebenan haben glaube ich Bad Religion gespielt, und ich wette, dieser Greg Graffin hat auf halber Strecke einfach frustriert das Mikro weggeschmissen und mit einem Besenstiel gegen die Wand geklopft. Es war wirklich die Hölle. Und niemand hat sich mehr Bier geholt! Alle saßen bis Mitternacht nur wie hypnotisiert da. Ich auch. Man starrte versteinert auf so eine Leinwand, auf der in schwarzweiß Kamerafahrten durch irgendwelche Großstädte und ein seltsamer Mann mit Turban zu sehen waren.
Auch am nächsten Tag hatte ich noch so ein Rauschen und Klingeln im Ohr. W. hat es auf der Rückfahrt so schön formuliert:»Irgendwann dachte ich, jetzt passiert's, jetzt hab ich einen bleibenden Hörschaden. Aber dann dachte ich mir, selbst wenn ich taub werde, drauf geschissen, dann kann ich jedem in so kleine Konversationshefte kritzeln: DAS LETZTE, WAS ICH IN MEINEM LEBEN GEHÖRT HABE, WAR GODSPEED!«