FormelEins
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Abschied vom langen Schatten
Mit dem ersten Sieg in der Königsklasse hat sich Ralf
Schumacher endgültig von dem Makel befreit, »nur« der kleine
Bruder des Weltmeisters zu sein. Erstmals in der
Formel-1-Geschichte kommt es zu einem Bruderkampf um die
WM-Krone.
Imola - Im Hause Schumacher hat eine
neue Zeitrechnung begonnen. Als Ralf
Schumacher nach seinem historischen
Sieg in Imola aus dem Williams-BMW
kletterte, war Bruder Michael der erste
Gratulant. "Auch wenn er es nicht gerne
hört, damit rückt er in den
WM-Favoritenkreis. Jetzt müssen wir bei
Ferrari auf einen neuen Schumacher
aufpassen", sagte der Scuderia-Star, für
den das »Heimspiel« vor den Ferraristi
nach einer Pannenserie vorzeitig mit
einer Riesenenttäuschung endete.
"Das ist das erste Mal, dass zwei Brüder in der Formel 1 gewonnen
haben. Wir haben beide unsere Ziele erreicht, und unsere Eltern
können sehr stolz sein", sagte der dreimalige Weltmeister gerührt.
Überwältigt von seinen Gefühlen prophezeite Ralf Schumacher seinem
sechs Jahre älteren Bruder ein heißes Duell im Kampf um die
WM-Krone: "Ich bin tierisch happy. Davon habe ich fünf Jahre lang
geträumt. Das war der erste von noch vielen Siegen. Wenn wir so
weitermachen, können wir mit den beiden Teams vorne mithalten."
Bierströme im VIP-Zelt
Im Feiern waren sie schon in Imola vereint. Nach der obligatorischen
Champagner-Dusche auf dem Siegerpodest flossen Sekt und Bier im
Motorhome von BMW-Williams in Strömen. Ralf Schumacher bedankte
sich vor dem obligatorischen Gruppen-Foto bei jedem seiner
Mechaniker per Handschlag. Einigen standen Tränen in den Augen. Im
privaten Kreis stießen Ralf, Freundin Cora, Michael und Frau Corinna
noch mehrfach an, ehe der Triumphator Hand in Hand mit Cora das
Fahrerlager verließ und zu einer Party nach Salzburg jettete.
Ausgerechnet in Ferrari-Land war der "Little
Schu" der Größte: Nicht nur, weil er Bruder
Michael nach dessen Ausfall eindrucksvoll die
Show stahl. Vor allem die souveräne Art und
Weise, wie der 25-Jährige bei seinem ersten
Sieg im 70. Rennen den Williams-BMW vom
Blitzstart weg ins Ziel lenkte, imponierte. Big
Brother Michael sprach von einer
»blitzsauberen Leistung« und sparte nicht mit
Lob: "Ralf hat vom Start bis ins Ziel keinen
Fehler gemacht."
»Er gewinnt soviele Rennen wie Michael«
Sogar Ex-Weltmeister Niki Lauda verneigte
sich respektvoll und zog sein berühmtes
»Kapperl«. BMW-Motorsport-Direktor Gerhard
Berger wollte zwar von einem Dreikampf um die WM noch nichts
wissen, räumte aber siegestrunken ein: "Wenn wir Ralf Top-Material
geben, gewinnt er so viele Rennen wie Michael. Das hat er in Imola
bewiesen."
Mit 4,3 Sekunden lag Ralf Schumacher im Ziel vor David Coulthard im
McLaren-Mercedes. Dadurch übernahm der Schotte gemeinsam mit
Michael Schumacher die WM-Führung (beide 26 Punkte). Als Dritter
rettete der Brasilianer Rubens Barrichello vor 100.000 enttäuschten
Ferraristi wenigstens halbwegs die Ferrari-Ehre. Der
Mönchengladbacher Heinz-Harald Frentzen (Jordan) ergatterte als
Sechster einen Punkt, Nick Heidfeld im Sauber wurde Siebter.
Im Windschatten des großen Bruders
Der Held des Tages aber war Ralf Schumacher. Was vor 22 Jahren
auf der eigenen Kart-Bahn in Kerpen begann, erreichte Ostersonntag
vorerst seinen Höhepunkt. Im Go-Kart fetzte sich Ralf mit Michael,
kannte keinen Respekt vor dem großen Bruder. In der Formel-3-DM
sammelte er Erfahrung, in der japanischen Formel 3000 ebenso, ehe
1997 bei Jordan der Einstieg in die Formel 1 folgte - immer im
Windschatten von des großen Bruders.
Der war zu diesem Zeitpunkt bereits
zweimal Weltmeister (1994, 1995). Was
Ralf auch tat, Michael blieb der Maßstab.
Jetzt aber ist er aus dem langen
Schatten des Bruders getreten. Ralfs
samstägliche Nachmittagsrunde an den
Strecken ist längst erfrischender als die
meisten Talk-Shows. Aus dem einstigen
»Rolex-Ralf« ist ein reifer, zielstrebiger,
junger Mann mit Freundin,
Verantwortung und klaren Lebenszielen
geworden.
Dem Diktat der Angepasstheit hat er
sich allerdings nie unterworfen: "Ich bin
immer meinen eigenen Weg gegangen." Auf brüderliche Hilfe will er
auch künftig verzichten. "Meine guten Ratschläge wollte er auch
früher nicht hören", so Michael Schumacher.