Dolmetscher
Bewertung: 4 Punkt(e)Komme soeben merklich betrunken aus dem Schumacher Oststraße zurück. Das Lokal war extrem überfüllt aufgrund einer Bäckerfachmesse, die den wenig anheimelnden Namen 'IBA' trägt. Platz nur noch an einem Tisch mit fünf Japanern gefunden. Eher nicht auf Kommunikation eingestellt, Konrad jedoch ganz Rheinländer, begann ein Gespräch mit mir als Dolmetscher. Es war der Tag des häßlichen Englisch. Wider Erwarten nach zwei Runden spendierten Samtkragens doch noch warm mit den Herren geworden und mit meinem Privathobby des Verbreitens falscher Legenden, Deutschland betreffend begonnen. Besonderes Interesse erregte meine Behauptung, der Nationalsozialismus sei ursprünglich eine populäre Kunstbewegung, zurückdatierend bis in das frühe Mittelalter gewesen, weshalb bis heute mehr als 90 Prozent der Deutschen als wenngleich nicht politische, so doch ästhetische Nazis zu betrachten seien, was ich durch die Verknüpfung germanischer Erntekulte und der offenbar auch in Nippon populären Claudia Schiffer auf das trefflichste zu beweisen vermochte. Anschließlich noch anläßlich der offenbar habituell von Japanern verzehrten Schlachtplatte das Gerücht in die Welt gesetzt, wirklich hochwertiges Fleisch würde in Deutschland nur durch Ersticken des Schlachtgutes erzeugt, was ich mit krausem Halbwissen über CO2–Anreicherungen in den Erythrozyten und deren Äquivalenten zum geheimen Leben der Pflanzen untermauerte. Dabei gleich den Nationalsozialismus als radikalisierte Veganerbewegung dargestellt. Anschließend noch die SS–Vergangenheit von Gerhard Schröders Vater und die homosexuelle Durchsetzung der deutschen Liberalen gegeißelt und einen aufgrund fehlender Vokabelkenntnisse vermutlich sehr bruchstückhaften Abriß der Illuminatenbewegung als federführender Kraft der Wirtschaft geliefert. Richtig geschockt waren die Herrschaften allerdings erst an dem Punkt, als ich ihnen von meiner inzwischen auf CD verewigten Nacherzählung von Nagisa Oshimas 'Ai no borei' erzählte, den ich ihnen leuchtenden Auges als den für einen Deutschen einzig relevanten Film seit Bunuels 'Ein andalusischer Hund', welchen ich ihnen aufgrund ihrer Unkenntnis zunächst in extenso erzählen mußte, schilderte. Ihre Schlachtplatte wurde ob des von mir abgesonderten Blödfugs kalt, und wir schieden von ihnen mit einem halben Tablett voll Eisbein, Leberkäse und Würstchen, was bei unserer Heimkehr zumindest die Hunde in einer gänzlich positiv besetzten Erinnerung an diesen Abend hinterlassen haben dürfte.