ChristianKracht
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ZU FRÜH,ZU FRÜH
Teil II
Der Franzose lehnte sich zu mir herüber.Sein Atem war warm und roch leicht malzig.»Tun Sie sich einen Gafellen«,sagte er.»Vergessen Sie die Filme.Sehen Sie sich das wirkliche Vietnam an.«
Und das tat ich dann auch.
Ingo,ein Rucksacktourist aus Stuttgart,der auch im Apocalypse Now herumhing,lobte das vietnamesische Bier,lächelte die Nutten,die in ihren Lederminiröcken an ihm vorbeischwirrte,und erzählte von Laos und Kambodscha,wo er gerade herkam,und von Burma,das eigentlich am geilsten was,weil es dort noch nicht so viele Rucksacktouristen gab.
»Vietnam ist doch Spitze«,sagte er.»Du mußt nur die Mentalität der Leute hier akzeptieren,dann geht das schon klar«:Er sagte »Mendalidäd«und »Leude«und »scho«,und während er sprach,bohrte er sich mit dem kleinen Finger im Ohr und roch daran.
»Wenn du es geschickt anstellst,kannst du hier für wenig Geld leben,für sehr wenig Geld.Das Essen ist hier superlecker!Ich schwör dir:Wenn du zurückfährst nach Europa,dann kannst du nicht mehr beim Chinesen essen gehen.Das schmeckt dir gar nicht mehr.Wefen dem Glutamat,das sie dort hineinpacken.«
Er sagte »Gludamaad« und »neipacke«,aber er sprach ganz passabel vietnamesisch,wie es schien.Ich fragte ihn,wo er das gelrnt habe.Er holte aus der Gesäßtasche seiner Jeans ein schmales Bändchen und zeigte es mir.Es war ein Lexikon aus der Kauderwelsch-Reihe,geschrieben,so war im Vorwort zu lesen,für »Menschen,die eine fremde Kultur wirklich begreifen wollen«.Während ich darin blätterte,legte der vietnamesische Barkeeper eine Kassette von LouReed auf,grinste und schnippte zu Walk on the Wild Side mit den Fingern.Ich gab Ingo das büchlein zurück,zog einen kleinen Schuhputzerjungen am Ärmel und fragte ihn,ob er wüßte,was Apocalypse now sei.
»Klar«,meinte er.Er sprach ausgezeichnet Englisch und trug nagelneue Doc-Martens-Stiefel.»Klar.Apocalypse Now sind eine deutsche Rockband.Wie die Scorpions.«