Bete
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Ein Erlebnis im Zug. Drei einander fremde junge Frauen sitzen locker verteilt auf zwei gegenüberliegenden Vierer-Sitzgruppen. Eine Zweier-Sitzbank ist noch frei.
Ein älterer Mann steigt ein. Graue Haare, Trenchcoat, angetrunken. Er setzt sich auf die freie Sitzbank. Sein Gegenüber, unangenehm berührt, kriecht sofort in sich zusammen: ihre Körpersprache ist ein einziges »Laß mich bloß in Ruhe!«
Aber der Mann ist wohl zu betrunken, um das zu verstehen. Sofort beginnt er, auf das Mädchen einzulabern, erzählt allen möglichen Unsinn, unterbrochen immer wieder von einem »Hallo, kuck doch mal!«. Aber das Mädchen kriecht immer mehr in sich zusammen und schaut starr aus dem Fenster.
Nach einer Weile gibt er auf und spricht statt dessen mein Gegenüber an. Sie antwortet freundlich, aber veralbert ihn ein bißchen. Das muntert auch die zusammengekrochene Frau wieder etwas auf.
Plötzlich, völlig zusammenhanglos, erzählt der Mann, er habe den Papst im Fernsehen gesehen, bei Urbi et Orbi. »Jaja, Urbi et Orbi... Was heißt das bloß noch mal auf deutsch?«
Die Frau mir gegenüber, sehr ernsthaft: »Bete und arbeite!« Die Zusammengekrochene kann sich das Lachen kaum verkneifen.
»Ja, natürlich... Bete und arbeite...« Und der Mann wird sehr, sehr nachdenklich. Und sehr, sehr still. Drei Minuten später steigt er aus, versonnen vor sich hinmurmelnd: »Bete und arbeite... jaja... das ist wahr...«
Wir drei Frauen haben uns anschließend noch sehr gut miteinander unterhalten.