Gesang der Sinnhuber.
Lebe hoch die tiefre Deutung,
Bloß Exaktes ist vom Übel!
Hoch die philosoph'sche Häutung,
Schälung dichterischer Zwiebel!
Hier ist nie ein Ding es selber;
Männer, Weiber, acta, facta,
Löwen, Hunde, Ochsen, Kälber
Sind Begriffe, sind abstracta.
Nur der Geist, er macht lebendig,
Buchstab ist nur Feld im Winter,
Saatkorn schlummert innewendig;
Fraget stets: was ist dahinter?
Wer sich nur am Bild ergetzet,
Sinnlich ist er, soll sich schämen,
Wer den Wert ins Zentrum setzet,
Fragt: was läßt sich draus entnehmen?
Erster Sinn will wenig sagen;
Vorwärts mit bedachten Schritten!
Nach dem zweiten mußt du nagen,
Weiter, weiter nach dem dritten!
Der Poet ist ein Verstecker,
Flieht, was nur sich selbst bedeutet,
Und erwartet den Entdecker,
Welcher den Begriff erbeutet.
Nur erklären, nur erklären,
Aber ja kein Urteil wagen,
Nur verehren, nur verehren,
Ob poetisch? ja nicht fragen!
Doch auf des Parnasses Gipfeln
Mit den dankbaren Poeten
Wandeln unter Lorbeerwipfeln
Arm in Arm die Interpreten.
F. T. Vischer, Faust III.
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