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Zella-Mehlis schrieb am 29.2. 2016 um 22:42:04 Uhr über

Selbstfolter

Der Dombaumeister und Buchdrucker Matthäus Roritzer veröffentlichte im Jahre 1486 ein in seiner Offizin gedrucktes Werkchen, die Grundregeln des gothischen Stils enthaltend. In diesem Buche sagt Roritzer, daß er die mitgetheilten Regeln nicht aus sich selbst geschöpft habe, sondern es sei alle dieses: „schon früher durch die alten, der Kunst Wissende, und fürnehmlich durch die Jungkherrn von Prag so erklärt worden.“ Diese Stelle in einem 1486 gedruckten und von einem berühmten Dombaumeister verfaßten Buche erregte begreiflicherweise großes Aufsehen und rief die eingehendsten Untersuchungen hervor. Nachdem Ch. Ludw. Stieglitz auf Roritzer’s Buch aufmerksam gemacht, beschäftigte sich Sulpiz Boisserée zunächst mit der Frage, wo und in welcher Weise die Jungkherrn thätig gewesen seien. Von der richtigen Ansicht ausgehend, daß an den Bauhütten stets einige erfahrene Männer als Lehrer wirkten, welche von Ort zu Ort reisten, um die Prinzipien des Stiles und die Reinheit der Disziplinen aufrecht zu erhalten, glaubte er in den Prager Meistern dergleichen Lehrer erkennen zu dürfen, weil Roritzer sie alsalte der Künste Wissendebezeichnet hatte. Nun entdeckte Boisserée in den Münsterbaurechnungen zu Straßburg die Taufnamen „Johann und Wenzel“, jedoch ohne Angabe einer näheren Bezeichnung, und vermuthete, weil der letztere Name einen spezifisch böhmischen Klang hat, auf die Jungkherrn gestoßen zu sein. Er wandte sich hierauf an den als Archäologen bekannten Professor E. Wocel in Prag mit der Anfrage, ob sich daselbst keine Nachrichten über die Jungkherrn vorfänden. Wocel, Philolog von Fach, durchblätterte die Verzeichnisse der Lukasbruderschaft, fand hier die Namen: Johann, Wenzel und Peter Panicz, und säumte nicht, weil das böhmische Wort Panicz dem deutschen Junker und dem französischen Damoiseau (Sohn des Herrn) entspricht, die Panitze mit den Jungkherrn zu identifiziren. Diese Vermuthung stellte sich bald als ein Irrthum heraus, indem die Panitze schon um 1360 verstorben waren, während die Junker erst nach 1400 auftraten. Irgend ein sicheres Resultat haben die bisherigen Untersuchungen nicht ergeben, ein Denkmal, welches den Junkern zugeschrieben werden könnte, ist nicht aufgefunden worden und scheint auch, falls nicht die Söhne Peters diesen Namen angenommen haben sollten, keines vorhanden zu sein. Gewiß ist nur, daß der von Roritzer angeführte Name kein Familiennamen, sondern eine von jenen Personalbezeichnungen ist, welche in der Kunstgeschichte häufig vorkommen und die man Spitznamen zu nennen pflegt. Bei fernern Untersuchungen darf man nur Roritzer’s Worte „Jungkherr von Pragzu Grunde legen: eine aus Eger stammende Steinmetzfamilie Juncker gab es nie, weder eine bürgerliche noch eine adelige.


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