Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Endlich oben angekommen: Reinhard JirglDer Berliner Autor Reinhard Jirgl erhält den Georg-Büchner-Preis 2010. In der DDR schrieb er jahrelang nur für die Schublade. Jetzt ist er ganz oben im Literaturbetrieb angekommen.
Die Schrecken des Ersten und Zweiten Weltkriegs, Inflation, Flucht und Vertreibung, das Trauma der Trennung und die Wiedervereinigung zweier deutscher Staaten – in seinen Romanen »Die Stille« und »Die Unvollendeten« lässt Reinhard Jirgl kein großes Thema des 20. Jahrhunderts aus. Lebensbrüche und Grenzsituationen faszinieren den 59-jährigen Schriftsteller, der selbst auf eine Biografie voller Ab- und Aufbrüche blickt.
Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Sechs Romane schrieb er in der DDR für die Schublade
Sechs umfangreiche Romane schrieb Jirgl, die er nicht veröffentlichen durfte. Der Aufbau-Verlag in Ostberlin, bei dem er 1985 sein erstes Werk »Mutter Vater Roman« einreichte, warf ihm eine »nicht-marxistische Geschichtsauffassung« vor. »Wenn Sie das als Anfangsetikett bekommen, ist eigentlich alles andere gestorben«, sagt Jirgl. Da müsse ein Schriftsteller schon Hartnäckigkeit beweisen und zeigen, »aus welchem Holz man geschnitzt ist«.
Schreiben in aller Heimlichkeit
Also gab Reinhard Jirgl nicht auf. Im Gegenteil. Heimlich schrieb er seine Romane und hängte dafür sogar seinen Beruf als Ingenieur an den Nagel. Seinen Unterhalt verdiente er als Beleuchtungs- und Servicetechniker an der Berliner Volksbühne. Im Jahr der deutschen Wiedervereinigung gelang es Jirgl endlich, sein Erstlingswerk, den »Mutter Vater Roman«, zu veröffentlichen. Doch der literarische Durchbruch gelang ihm damit noch nicht.
Erst 1993 wurde der Berliner Autor einem breiteren Publikum bekannt. Für seinen Roman »Abschied von den Feinden« erhielt er den Alfred-Döblin-Preis und wurde Autor des Carl Hanser Verlags, wo seine Bücher seitdem erscheinen. 1996 gab Jirgl seine Tätigkeit als Bühnentechniker auf und lebt seitdem als freier Schriftsteller in Berlin.
»Rammbock der Gegenwartsliteratur«
Die Auszeichnung mit dem wichtigsten deutschen Literaturpreis - der mit immerhin 40.000 Euro dotiert ist - bedeutet einen weiteren Karriereschub für Jirgl, den ein Kritiker einmal als »Rammbock der Gegenwartsliteratur« bezeichnete. Denn seine Werke sind tatsächlich sperrig und nicht leicht zu konsumieren. Dafür sorgt schon die sehr eigenwillige Orthografie. Satzzeichen setzt Jirgl gerne mal an den Anfang, etwa das Fragezeichen.
Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Ein Schriftsteller, der sprachlich etwas wagt, findet Klaus Reichert
»Das unterbricht den normalen, linearen Lesefluss, sorgt aber für einen nachdenklichen Leser«, lobt Klaus Reichert. Er ist Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die den Büchner-Preis seit 1951 vergibt. Jirgl erzähle mit großer erzählerischer Sensibilität und Leidenschaft von den Aufbrüchen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts, erklärt der Sprachexperte. »Wir haben bewusst einen Schriftsteller ausgezeichnet, der sprachlich etwas wagt, das sich nicht so leicht konsumieren lässt.«
In einer Reihe mit großen Namen
Bis er den Georg-Büchner-Preis erhält, muss sich der Berliner Autor noch etwas in Geduld üben. Er wird ihm erst auf der Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung am 23. Oktober in Darmstadt überreicht. Dann darf sich Jirgl darüber freuen, in einer Reihe mit den großen deutschen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts zu stehen. Denn zu den früheren Preisträgern zählen unter anderem Friedrich Dürrenmatt, Heinrich Böll, Erich Kästner und Elfriede Jelinek.
Autorin: Sabine Damaschke
Redaktion: Manfred Götzke
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