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wuming schrieb am 17.6. 2007 um 00:11:59 Uhr über

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literaturkritik.de » Nr. 6, Juni 2006 » Literaturwissenschaft » Weitere Publikationen

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Durch dick und dünn - Friedhelm Rathjen über Marianne Fritz, Gertrude Stein, Arno Schmidt, António Lobo Antunes und andere Autoren von Gewicht
Besprochene Bücher ...
Es gibt dicke Bücher, und es gibt dünne Bücher. Und es gibt Bücher, die sind beides, sozusagen: Bücher, die dem Volumen nach dick sind, sich aber bei der Lektüre als dünner Aufguss entpuppen; und auch Bücher, die vom Umfang her schmal sind, sich aber als ästhetisch oder auch inhaltlich prall gefüllt entpuppen. Arno Schmidt redete in einer bestimmten Phase seines Schreibens dem das Wort, was er Dehydrierung nannte: seine Prosa sollte überflüssigen Ballast abwerfen und hochkonzentriert und komprimiert daherkommen. Später freilich wurde gerade Schmidt zu einem Champion des Buchvolumens, was ihm naturgemäß den Vorwurf eintrug, nun habe er seine Prosa wohl doch ge- und verwässert - aber nicht jedes dicke Buch muss ein aufgeschwemmtes Buch sein. Es gibt durchaus Bücher, die dick und dennoch konzentriert sind; und natürlich gibt es dünne Bücher, die trotzdem fade sind.

In Friedhelm Rathjens hier versammelten Aufsätzen geht es um viele dicke und auch ein paar dünne Bücher. Keineswegs werden dabei nur Umfangsfragen diskutiert; dennoch kristallisieren sukzessive eine Reihe von Merkmalen voluminösen Schreibens heraus. Wobei allerdings immer zu berücksichtigen ist, dass nicht jedes Merkmal für jedes Buch gleichermaßen zutreffen muss. Manche Bücher sind dick, weil sie sich viel Stoff erschreiben; manche Bücher sind dick, weil sie unaufhörlich um ein begrenztes Repertoire kreisen. Manche dicken Bücher pflegen einen langatmigen Stil, aber andere glänzen gerade durch kurze Sätze und einen prägnanten Ausdruck. Natürlich scheint es logisch, dass dicke Bücher vornehmlich dann entstehen, wenn der Autor oder die Autorin es auf Totalität abgesehen hat, wenn zu einem Ganzheitsentwurf angesetzt wird - freilich ist es ironischerweise so, dass oft gerade Totalität um so mehr zersplittert und fragmentarisiert wird, je umfänglicher man ihr hinterherschreibt.

Komplettität ist ein Ziel, das mit wenigen Worten oft besser erreicht werden kann als mit deren vielen: der Begriff »Welt«, das pompös intonierte Wort »Kosmos«, ein schwach gehauchtes »All« oder das ganz für sich stehende »O« sind in sich schon umfassendere und in sich geschlossenere Ausdrücke von Totalität, als sie vielhundert- oder tausendseitige Inventarisierungen je zuwege bringen. In einem bestimmten Sinne kann nur das Einzelne, jedenfalls das Isolierte, ein Ganzes sein.

Folglich kann, erstens, ein auf wenige Seiten komprimierter Text kompletter sein als eine nimmerendende Aufzählungsorgie; und folglich kann, zweitens, aus dem repetitiven, permutativen, schablonischen oder schematischen Kreisen um einen kleinen Grundbestand von Gegenständen, Sachverhalten, sprachlichen Einheiten ebenso ein dickes Buch entstehen wie aus einer ewigwährenden Novitätensuche oder aus exzessivstem sprachlichen Variationsvermögen.

Zu den dicken Büchern der Weltliteratur zählen deswegen sprachmächtige ebenso wie wortkarge, enzyklopädische wie minimalistische, figurenreiche wie egozentristische Texte - Apotheosen der Fülle neben Apologien der Leere. Additive treten neben kombinatorische Strukturen, integrative neben desintegrative Verfahren, puristisch-monomanische neben eklektizistisch-multiperspektivische Stoff- und Sprachzugriffe; Schmidt ist nicht Joyce, Proust nicht Musil, Stein nicht Fritz, Powys nicht Rushdie. Bisweilen ist höchste Künstlichkeit das voluminöse Ziel, bisweilen auch das authentisch Echte.

Neben den im Untertitel genannten Autoren, die besonders umfänglich behandelt werden, finden Berücksichtigung: Wolfgang Rohner-Radegast, Gilbert Sorrentino, Philip Roth, Richard Flanagan, Augusto Roa Bastos, José Lezama Lima, Johann Fischart, Nikola Anne Mehlhorn und Samuel Beckett.

F. R.

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.




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