Von einem perfekten Piktogramm erwartet man, dass es ohne Sprache und im Idealfall ohne kulturellen Hintergrund verständlich ist. Am Eingang eines kleinen Parks sah ich nun ein Piktogramm auf einem Schild, dem deutlich anzusehen war, dass der Piktogrammdesigner sein Werk bei aller gebotenen Plakativität mit größter Liebe zum Wesentlichen gestaltete, ja, es ist zu vermuten, dass er seiner Arbeit mit einem übermütigen schallenden Lachen und brüllendem Schenkelklopfen nachgegangen sein muss. Nachdem er die visuelle Botschaft soweit in den Vordergrund gestellt hatte, ist er vermutlich am Ziel der völkerumspannenden Eindeutigkeit seiner Botschaft etwas vorbeigeschossen, weshalb er sein Schild mit folgendem erläuternden und damit sein Piktogramm eigentlich überflüssig machenden Text ergänzte: »Hundekot ist zu entfernen!« Das Piktogramm stellte nun wunderbar plastisch und sinnlich einen gewaltigen wie eine barocke Pagode sich schrauben- und schneckenförmig in die Höhe windenden Hundehaufen dar, dessen oberster immer dünner werdender Zipfel in schwindelerregende Himmel ragte und wie eine Nadelspitze endete und scheinbar im Nichts verhauchte. Doch tatsächlich war damit das Ende nicht erreicht: Über dieser Apotheose der Masse waren gewundete Linien dampfender Wärme zu sehen, welche die Botschaft des Haufens zu den Sternen tragen wollten, und um diese schwirrten engelsgleich und mit den ausgebreiteten Flügeln zarter Schmetterlinge schwarze Fliegen, die vor lauter Hochgenuss und Entrückung sich nicht auf das Objekt ihrer Anbetung zu setzen entschließen konnten. Die gestalterische Kraft und Simplizität der Botschaft wurde zuletzt durch einen roten Ring, der das Stilleben umschloss, und einen roten Querbalken, von dem allerdings nicht auszuschließen ist, das für ihn der Amtsschimmel gegen den Willen und die Freiheit des Künstlers am Werke war, unterstrichen. Doch hat das Genie hier in der Expression seiner Vorstellungskraft nicht seinen Zweck verfehlt? Denken wir uns den erläuternden Text weg, versetzen wir uns in die Lage eines Betrachters, dem die Kultur des Gassigehens, die Kunst und Pflege des Gartenbaus nicht vertraut ist, führen wir uns die tabula rasa eines Spaziergängers von einem fernen Planeten vor Augen! Welche Ambivalenz spricht plötzlich aus dem Bildnis von den Notwendigkeiten der Hundeverdauung: »Sandburgen bauen verboten!«, »Vorsicht Brandgefahr: Nur kalten Hundekot zurücklassen!«, »Fliegen füttern untersagt!« Der selbstbewusste bildende Künstler, der nicht bereit sein konnte, sein Herzblut der polizeilichen Erbärmlicheit von Mahnung und Verbot zu opfern, entschied sich in seiner Not zwischen Ewigkeit und Brot für einen Kompromiss: Das geschriebene Wort musste herhalten, die schnöde Bedeutung des Gestalteten ins rechte Licht zu rücken, in der Hoffnung, dass niemals ein der Sprache unkundiger Fremder den Park würde betreten wollen. Der Spaziergänger aber steht staunend am Eingang des Parks, stockt vor dem Piktogramm, das sich auf dem Schild über ihm erhebt, und rätselt über seinen fremden Schöpfer, bevor er mit ganz neuer Ehrfurcht und Nachdenklichkeit jenes unscheinbare Fleckchen Erde aus drei Wegen und zwei Wiesen durchquert.
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