WH ist
Der Trinker.
Ein Mann, den ich kannte (ich sollte vielleicht besser sagen: dessen Gesicht ich kannte) starb.
Er starb zu früh, wie einige glaubten, zumindest aber sich öffentlich zu behaupten trauten. Doch er war ein begnadeter Säufer, der sich seine Grenze mit 58 Jahren selbst gesetzt und hart, wenn auch gegenüber denen, die dafür zahlten nicht immer redlich, ersoffen hatte.
Selbst die qualvolle Todesart »Leberzirrose im Endstadium« hatte er sich durch unzählige Entgiftungen und Entziehugskuren hindurch langsam und bedacht selbst gewählt, ja sich geradezu mit diesem Tod angefreundet und ihn am Ende wohl herbeigesehnt.
Kurz: der Tote ruhte und die Überlebenden bedauerten, trauerte um kaum etwas so glaubwürdig wie um sich selbst.
Was er mir getan habe, fragten sie, nicht etwa sich, nein, sie wagten, mich zu fragen, was nur, er mir getan habe. Er habe mir doch nie etwas getan, warum also, so ihre nächste Frage, wolle ich ihm nicht das »letzte Geleit geben«, warum nicht zu seiner Beerdigung erscheinen, wenn er mir doch nichts getan habe.
Nun hätte ich freilich viel zu tun, wenn ich zur Beerdigung all der Leute erscheinen würde, die mir nichts getan haben. Zur Beerdigung all jener, denen ich nur gleichgültig war.
Nun erzähle ich wohl wenig neues, dass kaum, dass er wenige Monate tot war, die Frau, der er ebenfalls in 25 Jahren Ehe auch nicht viel getan hatte (bis auf die paar »wohlverdienten« Schläge und die seltenen blauen Augen und Flecke, ein bis zwei gebrochene Rippen – was ist das schon in 25 Jahren und die mindestens zwei unerwünschten ihrer fünf Kinder, die ihr neben der Figur auch die Gesundheit ruinirten, sie nicht nur durch sein Beispiel ebenfalls in die Abhängigkeit vom Alkohol trieben), feststellte (und wenn auch mit reichlich schlechtem Gewissen äußerte), dass ihr Leben mit seinem Tod erst begonnen habe.
Vielleicht hätte ich also doch zu seiner Beerdigung erscheinen sollen und sei es nur, um ihrer Geburt im 56. Lebensjahr beizuwohnen. Wobei, sie hatte mir auch nichts getan, und ich hätte wahrlich viel zu tun, wenn ich zur der Geburt eines jeden Menschen, der mir nichts getan hat erscheinen würde, zumal ich ihr in den Jahren zuvor nicht wesentlich gleichgültiger war als ihm.
Dennoch ist ihre erste Tochter (ihr einziges Wunschkind, wie sie sagt), die Mutter meiner Kinder und die Liebe meines Lebens.
So bedaure ich doch ein wenig, dass die Mutter erst geboren wurde, nachdem ich ihr so viele Jahre gleichgültig war; So ein ätzend gleichgültig kaltes Verhalten Ihrerseits, meine wirklich sehr unguten Gefühle dabei und meine stereotype Reaktion auf sie sich längst eingeschliffen haben; sich wohl nicht mehr viel ändern wird zwischen uns, mir und Deiner Mutter Liebste.
010619 mod
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