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mcnep schrieb am 25.4. 2004 um 07:53:58 Uhr über

Ohrensausen

Dieses ganze Getue um Tinnitus ist ja völlig albern. Ich kenne vier Leute, die sowas gehabt haben: Ein chinesischer dissidenter Reisekaufmann, eine christliche Lehramtsreferendarin, ein alternder Selbstverleger und ein kiffender freelancender Computerfachmann. Alles Leute am Start um die besten Plätze im Leben. Ohrensausen, das sind doch einfach nach oben abgeleitete musikalische Ellenbogen. Aber Paul ist tot, der nette Paul mit dem Richelieubärtchen und dem Monokel, der immer quietschfidel in seinem Elektrokarren saß, das verbliebene Bein auch gerne Mal zu aussichtslosen Arschtritten gegen seine befreundeten Mitmenschen ausstreckend. Bestimmt nicht schön, so langsam von den Zehen her aufgefressen zu werden, So wie der Verlauf da immer ist, dieses ganze scheibchenweise Zerstückeln könnten sie sich eigentlich sparen; wenn ein Zeh schwarz (sic!) wird, sollen die Ärzte doch Tacheles reden und sagen: »Wir nehmen ihnen mal prophylaktisch die Oberschenkel ab, dann haben Sie es hinter sichIch habe jedenfalls noch nie gehört, daß Hardcorediabetes besser geworden wäre, wenn er erst mal sein fressendes Werk begonnen hat. Andererseits: Die Leute haben wenigstens gelebt! Nicht reingespuckt, sagt man wohl. Oder aber gar TypIDiabetiker, von Geburt an auf du und du mit Optipen und Millimolberechnungen, welches Pathos, welche Größe! Und was ist? Klagen diese Leute? Machen die irgendwelche Websites mit Fotos von ihrem zerpieksten Bauch? Oder wo der Bildschirm von unten her schwärzlich zerkrumpelt wie im Falle Valdemar? Dagegen diese Ohrensauserhomepages, nichtsahnend klickst Du die an und dir kommt ein albernes Fiepen entgegen, das die Hunde nachts um zwei auf Habacht bringt, Schlagertexte werden auf Tinnitusbotschaften untersucht, ausgerechnet, die meisten haben das doch wahrscheinlich sowieso von diesem dröhnend laut Mucke hören, damit man am nächsten Tag wieder entspannt für den Produktionsprozeß ist. Ich habe noch keine Diabetikerhomepage gelesen, die 'Sweets for my sweet' oder 'Falling into pieces' auf verständnisinnige Messages abklopft und unter die Leute bringt. Aber klar, dieses Sausen stigmatisiert ja nicht nach außen, die müssen keine Diätcola trinken oder offene Beine verstecken, sind ja nach außen hin kerngesund, aber fragst du sie, erzählen sie dir Storys wie ein Raumakustiker auf Acid, anschwellend, abschwellend oder gleichbleibend, hat dein Tinni (Tinni! Bah!) auch immer dieses huiiiit in der Mittelfrequenz? Nein du, meiner ist mehr so fiiiiiut und vorgestern gegen vier war auch so ein sssittt untergemischt. Sollen sie doch Tinnitusmusik komponieren, wäre eh mal eine Maßnahme, wenn dieses ganze niederfrequente Bronxgezappel mal zurückgefahren würde, sollen sie doch Wasserkessel sampeln und mit Zikadenattacken und Kreidetafelabruchgeräuschen mischen, die sampeln doch immer alle so gern, Training für die Mosaikbiographie, dann wüßten wir endlich mal, wovon die überhaupt reden. Bis dahin bleibt die Unterstellung im Raum, daß Tinnitus etwas für Leute ist, die nicht öko genug sind, um ihre Hypochondrie mit Elektrosmog und Wasseradern zu begründen und die dir das vortragen mit einem Blick wie eine menstruierende Zahnarzthelferin in der Probezeit, 'es geht mir so dreckig, aber ich habe mich trotzdem zum Dienst geschleppt'. Sechzig, siebzig Jahre tough durchhalten und dann zwei, drei Jahre sich zu Tode leiden, das können nur noch wenige, heute wollen die ja alle schon mit dreißig ein Stigma haben.


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