Das Klischee von der Nähmaschinenmusik ist nicht ganz so alt wie Bach, eher so alt wie die Nähmaschine. Mir ist das nie ganz nachvollziehbar gewesen, wieso ich für ein absichtsloses Genießen welcher Musik auch immer Vorkenntnisse benötigen sollte, entweder, sie geht direkt in Herz und Geist und Mund und Sinne oder nicht, mit den Regeln des Kontrapunkts kann das bei einem aufgeschlossenen Ohr nichts zu tun haben. Ein Gegenbeispiel: Nun verstehe ich schier gar nichts von juristischer Kunst und Sprache, auch sehe ich keine Gerichtssendungen und bin überhaupt im Herzen recht jenseits einer Schranke gutbürgerlicher Testierfähigkeit - doch der Palandt, jenes seit weit mehr als fünfzig bearbeiteten Auflagen erscheinende kommentierte Handbuch zum BGB, nötigt mir immer wieder aufs Neue eine mehr als eine Toilettensitzung währende respektvolle Genusslektüre ab. Hat man sich erst in die regelvolle Sprache der Kürzel und Verweise, die Wichtungen der Schrifttypen, die Topik (so die vermutlich korrekte peterke Bezeichnung) der behandelten Bücher eingelesen, ist es ein förmlicher Genuss, all die verdichtete Schönheit in Regelhaftigkeit zu verfolgen, den Disharmonien nachzuspüren, auf atonale, gesetzfreie Räume zu lauschen. Sicher, als Ungeschulter verliert man zuweilen den Faden, skipt ungeduldig ein paar hundert Seiten vor zum gravitätischen e-moll des § 2014, der Dreimonatseinrede, bleibt jedoch auf dem Weg hängen an einem wunderbar archaisch-mixolydisch daherkommenden § 585ff, über dem man sich in die Zeit der Erbpachthöfe zurückträumt, ein blasser Junker bindet seinen Schimmel an eine Kate, aus der ein vierschrötig behaarter Landmann tritt... Musik und Recht sind überall versteckt, sie sind der wahre Gegensatz der Zivilisation, der sich zu einem Ganzen schließt, feindliche Brüder, wesensverwandt in ihrem Beharren auf Übereinkunft in Gemeinschaft, wie James und Stanislaus, Arthur und Rimbaud, Schall und Rauch. (Vermutlich ein Grund, warum Musiker nicht selten mit dem Gesetz in Konflikt kommen und im Oberlandesgericht Düsseldorf Kammermusikmatineen stattfinden.)
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