„Die Muskatnuss hat große Wärme und vortreffliche Kräfte. Ihr Genuss öffnet das Herz des Menschen und läutert sein Gefühl und verschafft ihm guten Verstand. So lobt die heilige Hildegard von Bingen in ihrer Naturkunde den Muskat.
Die fromme Äbtissin irrte gewaltig:
Kaum ein Gewürz — Nelken und Pfeffer vielleicht ausgenommen — hat so viel Grausamkeit, Habgier und Eitelkeit in den Menschen erweckt wie der Muskat.
Im 11. Jahrhundert, als die Äbtissin ihre Naturkunde schrieb, waren die Muskatnüsse gerade in breiterem Umfang in Europa bekannt geworden. Eingeführt wurden sie durch arabische Händler, die sie über See oder auf den alten Karawanenstraßen von den Gewürzinseln, den Molukken, mitbrachten. Der Preis war gewaltig, zu manchen Zeiten kostete 1 Pfund Muskat soviel wie drei Schafe.
Das tat der Nachfrage aber keinen Abbruch. Man brauchte Muskat als Medizin, z.B. gegen Rheuma, Geschwüre und zur Steigerung der Potenz, man brauchte ihn zur Herstellung von Salben und zum Würzen vieler Speisen. Außerdem setzten reiche Herren ihren Gästen als Nachtisch glasierte Muskatnüsse vor. Nicht zum Essen — denn wer kann schon eine ganze Muskatnuss essen? —, sondern aus reiner Angeberei. Natürlich versuchten die Europäer, den Arabern diesen lukrativen Handel aus den Händen zu nehmen. Da die mohammedanischen Händler aber unangefochten die traditionellen Handelsstraßen beherrschten, mußte man einen neuen Handelsweg finden: den Seeweg nach Indien rund um Afrika.
Die Portugiesen fanden ihn bekanntlich Ende des 15. Jahrhunderts, sie machten die Molukken zu ihrer Kolonie und kassierten von da an das große Geld für die Nüsse und die feine Samenschale.
Rund 100 Jahre später nahmen ihnen die Niederländer aber die Molukken ab und profitierten ihrerseits von dem Monopol: Die Niederländisch-Ostindische Kompanie verdiente an jedem Gramm Muskat [200 Prozent. Diese Gewinne verteidigten die Niederländer mit ziemlicherBrutalität: Muskatbäume durften nur auf zwei Molukkeninseln angebaut werden: auf Ambon und Banda. Alle anderen Bäume wurden zerstört. Und wer heimlich Muskatbäume anpflanzte, wurde mit dem Tode bestraft, wer heimlich eine Nuss abpflückte, dem wurde eine Hand abgehauen.
Trotzdem: Diese Härte war letzten Endes vergeblich. Dafür sorgten schon die Muskatnussfresser, eine große Taubenart, die sich von frischen Muskatfrüchten ernährt und die die Samenkerne auf andere Inseln verschleppte. Und schließlich gelang es den Franzosen im Jahr 1770, ein paar Muskatnussbäumchen von den Molukken zu stehlen und in den eigenen Kolonien anzupflanzen.
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