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tootsie schrieb am 6.4. 2008 um 17:15:07 Uhr über

Megaira

Megaira

Dieser widerliche, fette Clown hatte also seine Katze überfahren. Er war wieder viel zu schnell durch die Seitenstraße gebrettert. Andreas kaute seine Lippen wund. Er saß bei Kerzenschein in seiner Dachkammer und starrte auf den trüben Spiegel an der Wand. Aus dem Nachbarhaus hämmerte Musik. Anscheinend waren der Zahnarzt und seine Frau nicht zuhause, und Sohnemann hatte sturmfrei. Andreas wünschte den Arztsohn an den nächsten Baum. Warum traf es immer die Falschen? Der Arztsohn war geistig so beweglich wie Knäckebrot, studierte aber an irgendeiner hippen Universität Medizin und würde wohl dereinst Vatis Praxis übernehmen.

Trockene Fetzen hingen von Andreas Lippen, hie und da der Geschmack von offenem Fleisch. Er spürte es kaum und starrte auf den trüben Spiegel. In seinem Bauch glomm still der Zorn, und er fühlte sich hilflos und frustriert wie selten zuvor. Als wären ihm Arme und Beine gebunden, so fühlte sich sein Leben an. Was immer er tat, andere wären vor ihm dran. Sein scharfer Vertand nützte ihm wenigwurde er doch andauernd ausgebremst. Zuerst von Lehrern, die seine Fragen nicht verstanden und noch weniger die Antworten, die er auf ihre Fragen gab. Die Abneigung gegen stumpfes Auswendiglernen hatte ihm mittelmäßige Noten eingebracht. Nun hockte er starrend in der Dachkammer und hörte Musik von nebenan. Warum bekamen manche Leute alles und andere nichts? Der Arztsohn fuhr seinen fetten, tiefer gelegten BMW, es war wohl schon der dritte, brauchte sich keine Sorgen wegen seiner Zukunft zu machen und tat so, als wäre dies alles verdient! Dumm, eitel und gefräßig. Andreas dachte an die Katze, die gestern noch bei ihm im Bett geschnurrt hatte. Weshalb hatte er überhaupt versucht, aus dem Dreck herauszukommen? Sollte er nicht doch einfach sein Studium schmeißen? An der Massenuni würde er ohnehin nicht auffallen. Zwar brachte er in einigen Bereichen hervorragende Leistungen, aber die sah man nicht. Er fühlte sich, als versuche er, durch zähen Sirup zu waten. Im Prinzip hätte er in einem afrikanischen Slum geboren worden sein können! Das Arztkind von nebenan war an einem Internat durchs Abitur getragen worden. Zwölf Schüler pro Kurs, Zeit für Fragen, sicher soetwas wie eine Bibliothek, die nicht ständig geschlossen war. Der Ball im Bauch explodierte und andreas schoss Wasser in die Augen. Seine Sicht verschwamm, und er hatte das Gefühl, zu ersticken. Er hielt die Luft an und hoffte, dass er einfach tot umfiele. Keine Demütigung mehr, kein Ausgebremstwerden mehr, nicht einmal mehr Dunkelheit. Umsonst: Luft schnappte sein Körper. Und der Schalter legte sich um.

Ganz ruhig war er nun. Sein Leben schien ihn nichts mehr anzugehen. Die Bässe hörte er nicht mehr, sein Körper war nicht mehr seiner, und er schaute in den trüben Spiegel. Eigentlich war sein Dasein immer noch ein Abenteuer. Es gab keine Garantien. Für gar nichts. Wozu sich den Kopf zerbrechen? Wozu verzweifeln? Er konnte doch noch handeln. Andreas schaute auf grünliche Schlieren, die vor seinen Augen tanzten. Mal verdeckten sie den Spiegel, mal ließen sie ihn schimmern. Das Glas war nun schwarz, und er glaubte, Bewegungen darin zu sehen. In seinen Ohren rauschte Blut; er bemühte sich, so flach wie möglich zu atmen und starrte auf den Spiegel, in dem sich die Umrisse einer jungen Frau zeigten. Sie schien aus weiter Ferne zu kommen, näherte sich dem Spiegelglas. Die Schlieren tanzten, und er meinte, im Rauschen seines Blutes eine Stimme zu hören. Worte wurden gerufen, von weit her, wie es schien, und die Gestalt eilte auf das Glas zu. Fasziniert konzentrierte sich Andreas darauf, nicht zu blinzeln. Das Gesicht der Frau war zornig, und die Stimme aus der Ferne gehörte ihr. Was sie sagte, verstand er nicht. Er musste nun doch blinzeln, und seine Augen brannten. Das Rauschen nahm ab, und er bemerkte, dass seine Beine eingeschlafen waren.


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