Schicksal ungezählter Heimorgeln der Unter- bis Mittelklasse: kaum angeschafft, steht auch schon die erste Blumenvase neben dem Notenpult, und da Kitsch - zumal auf solch günstigen Substraten wie Nußbaumfurnier - die Neigung hat, sich mit nahezu exponentieller Geschwindigkeit zu vermehren, kommen sehr bald Spitzendeckchen, Wackeldackel, Nussknacker, Karnevalsorden, Schneekugeln, gerahmte Fotos von Tante Frieda im Zillertal und was kleinbürgerliche Ästhetik sonst noch an Hinstellchen und Verstaubchen zulässt. Im Extremfall verschwindet die Orgel unter derart monumentalen Kitschgebirgen, dass ihre Spielbarkeit merklich leidet, und wenn eingangs erwähnte Blumenvasen tatsächlich allen Ernstes für Blumen genutzt werden, kommt es gar nicht so selten vor, dass der Inhalt durch ungeschickte Grobmotorik beim täglichen Staubwischen (Kitsch zieht Staub bekanntlich magisch an, es sind nicht immer die Afghanistantourneen, die Heimorgeln einstauben lassen...) in die Manuale schwappt. Dann kommt jede Rettung zu spät, in der Elektrobucht stehen dann so traurige Meldungen wie »Der Gegenstand der Auktion wurde zwischenzeitlich zerstört und steht daher nicht mehr zum Verkauf!«
Wie gesagt, das gilt alles nur für Heimorgeln der Unter- bis Mittelklasse, eine Technics SX-G7, Farfisa Pergamon oder gar Wersi Galaxis wird kaum jemals so zugekitscht, da solche Orgeln in der Regel von Leuten gekauft und gespielt werden, die sich qua Kontostand erfolgreich vom Gelsenkirchener Barock und ähnlichen Formen der Bebraistik emanzipieren konnten.
Auf echten Tonrad-Hammonds, von der T-Fünfhundertirgendwas bis zu Ihrer Majestät, der B-3, steht übrigens nie irgend etwas anderes als Noten, es sei denn, der Besitzer heißt (oder vielmehr hieß) Jimmy Smith, dann können sich auch noch Spuren von Mojo-Pulver am Gehäuse befinden, bei klassischen Pornoorgeln (z. B. der Eko Ambassador) sind es entsprechend Kokainreste.
Und meine Yamaha C-55N? Neben einigen zehntausend Staubpartikeln pro Quadratzentimeter Nussbaumfurnier (die sind bei mir natürlich nicht kitschbedingt, sondern im weitesten Sinne afghanisch!) finden sich zur Zeit rund um das Notenpult eine Plastiktüte mit Backup-Disketten aus dem Besitz von Andreas Ismail Mohr, eine angebrochene Rolle Frotteehaarbänder in blau, marineblau und schwarz, eine noch fast volle Rolle Tesafilm-Imitat vom Karstadt-Wühltisch, ein Aldi-Fahrradcomputer ohne Fahrrad (wurde mir letztes Jahr gestohlen, weshalb ich mir leider keine Hammond T-522 ersteigern konnte), ein Kopfhörer-Anschlussadapter, einige zusammengeheftete selbstgedruckte Notenblätter, auf denen ich irgendwann einmal meine Heimorgel-Bearbeitung von Slaughter-on-Tenth-Avenue arrangieren werde, zumindest steht der Titel schon einmal oben eingetragen; insgesamt 18 noch zu digitalisierende Audio-Cassetten, nach »Liedermacher/Chanson« und »Klassik« in Stapeln geordnet; schließlich zwei gelbe Haftnotizen am Notenpult, die mich daran erinnern sollen, doch endlich mal »Heaven« von den Talking Heads und »Dornröschen« von Zara-Thustra einzuspielen; leider keine Vangelis-Büste und auch nicht Zahir Schah im Goldrand, womit meine Orgel definitiv KEINE Kitschablage ist!
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