»Tycho Brahe ist an Harnverhaltung gestorben.« Dieser Satz zählt zu den vielen aus Kempowskis 'Tadellöser'-Romanreihe, die mich seit jetzt schon dreißig Jahren begleiten. Vor allem der erste 'klassische' Band, der die erste Hälfte der Nazizeit schildert, die vielen Mosaiksteinchen aus Alltags-Mnemosyne, die... Was red ich, all das ist über Kempowski oft genug gesagt worden, und dass er menschlich, bzw. 'weltanschaulich' ein schwieriger Charakter war, sei ihm post mortem zwar nicht pauschal abgesegnet, zumindest aber nicht zu diesem Anlass nachgereicht. Jene Weltsicht eines etwa 10-12jährigen, die dem Buch 'Tadellöser & Wolff' als ordnendes Prinzip inmitten all der Schnappschüsse zugrunde lag, war auch die des lesenden Ichs, das ich damals war, wenngleich natürlich mit vielfach veränderten Vorzeichen. Aber dass ein Wort wie Harnverhaltung und die unheimlich-raunende Kraft, die die Vorstellung des Todes durch ein solches Leiden nun einmal hat, die Phantasie der Brillenschlangen aller Jahrzehnte entzündet, zeigt die Tatsache, dass auch heute noch im Internet die Harnverhaltung Tychos in mehr als 60 deutschsprachigen Einträgen an zumeist prominenter Stelle Erwähnung findet, wo man bei anderen, nicht minder bedeutenden Zeitgenossen froh sein kann, überhaupt ein exaktes Sterbedatum vorliegen zu haben.
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