Ich sitze wieder am Giraffenklavier, fast verschluckt von ersten Geigen, da ist gerade noch Platz für ein paar zerfledderte Noten und meine Pillenschachtel. Meistens bin ich der erste, der kommt, muss ich auch, schon das Abstauben dauert eine halbe Stunde, wo die Konzerthalle nur all den Staub hernimmt, manchmal denke ich, das sind kondensierte Töne, Wellenteilchen, durchmischt mit Cerumen, Kolophonium, Hustenbakterien und Druckertinte. Ah, so langsam trudeln die anderen auch ein: Ruecker42 oder Wer hat bloß das C-Saxophon bestellt? Kenner sagen ja, die Dellen machen erst den Klang - und beides hat das matte Messing reichlich, soll es auch, so ein Photoshopsax taugt nicht einmal zum Dosenöffnen. Nächster im Pultslalom ist Tootsie, das Fagott, und ich denke hierbei nicht an FalscheFreunde. Die Variationen über 'Non più andrai, farfallone amoroso' spielt er manchmal zweistimmig, so hat er das hörbare Klappenspiel perfektioniert. Christine mit der Thor-Steinar-Bluse ist unsere Querflöte für besondere Aufgaben, vom durchdringenden Killerfis bis mitten rein ins lullyhafte Gold-weiß, ist sie stets klar aus den anderen Stimmen herauszuhören, was dadurch erleichtet wird, dass sie aus einem Korb unter der Bühnendecke spielt, den sie seit elf Jahren nicht verlassen hat. Ein ostinates Rumpeln kündigt ihn an: Höflich, unser Nahkampfcello, geht keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Der hat das Doppelkonzert von Brahms schon durch, wenn die Leiche an der Geige noch die Oktaven des ersten Satzes verstolpert. Er hat ein Suchtproblem wie die meisten hier, aber seit man ihn bei einer Orchesterprobe der Meistersinger hinter der Bühne beim Blechrauchen erwischt hat spielt er mit einer gelben Karte, die während der Konzerte gut sichtbar an der Reverstasche seines Fracks angebracht ist.
So langsam müssten alle da sein. Der Konzertmeister würde das wissen, aber der ist schon vor Jahren geflüchtet, als ein Reinigungsteam eine Eingangstür aufgelassen hatte. Im Foyer, wo jetzt unsere Schlafplätze sind, hatte er sich unter einem Servierwagen versteckt und war irgendwie herausgeschlüpft... Und seither ist es jeden Tag das gleiche, wir zählen durch ob keiner fehlt, wobei, wenn Du nicht weißt, welches Stück gespielt wird, ist es eigentlich auch egal, nicht unbedingt für die 2. Geigen und das Blech, die machen sich immer was zu schaffen, aber ich sitze da und warte und währenddessen rieselt der Staub, man kommt gar nicht nach mit dem Wischen, nach einiger Zeit des Wartens, wenn wieder kein Dirigent erschienen ist (in all den Jahren habe ich ihn noch nicht zu Gesicht bekommen, einmal kam tonnenschwerer Mann, der nur aus Gesichtsbehaarung zu bestehen schien, reinstolziert und hat sich als Korrepetior ausgegeben. Als er dann anfing, die Wunderhornlieder auf einer Yamaha HE 8 zu intonieren und sich an meinen Mann, den Kesselpauker ranschmiss, haben wir kurzen Prozess gemacht. Er schimpfte etwas Paschtunisches, kurze Zeit später hing er an einem Garderobenhaken. Keiner von uns hat in den folgenden Jahren noch einmal über diesen Vorgang gesprochen, ich weiß nicht einmal, ob er vielleicht noch dort hängt. Seit das Essen direkt vor den Konzertsaal gestellt wird, verlassen wir ihn eigentlich nur noch zum Schlafen und für die notwendigsten Verrichtungen. Das Essen ist immer noch so gut wie am ersten Tag; gestern gab es Canapés. Vorgestern auch, und die Woche, den Monat, das Jahr davor auch. Eigentlich gab es hier bislang immer Canapés, außer an dem Tag, an dem uns die UNESCO-Beobachter besucht haben. Da gab es Lachsröllchen. Ich hasse Fisch.
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