Wir arbeiten sehr viel mit imaginativen Strategien. Wir legen keinen Wert darauf, daß
Wiedergutmachung, Rache, Aggression archaischer Art, Täter- Opferkonstellationen,
Re-Traumatisierungen in der Therapie geschehen. Die geschehen selbstverständlich,
natürlich gibt es Übertragungen, natürlich gibt es Wahrnehmungsverzerrung, aber so bald wir
das bemerken, weisen wir freundlich, aber bestimmt darauf hin, daß das in die nächste
Traumasitzung gehört und nicht in die zwischenmenschlichen Beziehungen. Wir haben auf
Station keine konfliktzentrierte Gruppe. Das sind Einzeltherapien, die laufen. Als Gruppen
haben wir Qui-Gong, haben wir Tagesausklang mit Imaginationen und so was, aber wir
haben keine konfliktzentrierte Gruppe.
Wir haben auch nicht das Ziel, daß sich die Probleme an uns inszenieren und an uns
wiederholen, das ist nicht unsere therapeutische Strategie. Das erwünschte Stationsklima ist
so ein bißchen Schweizer Sanatorium. Das haben wir gerne. Leute spielen Mühle, sehen
fern, buddeln im Garten mal wieder zum fünften Mal irgendein Blumenbeet um, es wird
überlegt, welches Video man heute Abend zusammen guckt, einige gehen in die Stadt.
Das ist die erwünschte Atmosphäre, und wenn mir eine Patientin sagt: "Meine Mitpatientin
erinnert mich so sehr an meine Schwester.», dann sagen wir: «Das ist nicht Ihre Schwester,
aber gut, daß Sie es sagen. Ist das denn so störend, so behindernd, daß Sie das daran
hindert, das zu tun, weshalb Sie hergekommen sind, nämlich Ihre früheren Erfahrungen
aufzuarbeiten?"
Das schließt an die Frage an, die Sie mir beim Mittagessen gestellt haben. Wie ist das denn
hinterher mit üblicher Psychotherapie? Brauchen einige hinterher übliche Psychotherapie?
Meine Antwort war: »Alle«. Alle brauchen hinterher eine psychotherapeutische Behandlung
irgendeiner etablierten Art. Eine gute kognitive Verhaltenstherapie oder eine
tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, auch mit katathymem Bilderleben oder
Psychodrama oder Gestalt. Schwer Traumatisierten empfehle ich keine Analyse.
Im Anschluß an eine erfolgreiche Traumabehandlung sind die PatientInnen im allgemeinen in
der Lage, mit üblicher Psychotherapie besser umzugehen und mit ihr arbeiten zu können.
Wenn Sie einen Patienten haben, der noch getriggert werden kann, dann brauchen Sie bloß
die falsche Krawatte zu tragen, zur falschen Zeit Urlaub zu machen oder sich zu erkälten,
und er wird suizidal. Das ist etwas, was möglichst nicht mehr passieren soll, nämlich daß ein
Patient durch jede Kleinigkeit, eine Veränderung des Therapeuten oder der Therapeutin
getriggert werden kann und in völlig unrealistische Zustände rutscht. Dann würde ich sagen:
da ist irgendeine Information noch nicht soweit integriert, wie es erforderlich ist für die
üblichen therapeutischen Vorgehensweisen. Alle brauchen hinterher ambulante
Psychotherapie, um ihre Beziehungsstörungen, ihre aggressiven Hemmungen, ihre
Schwierigkeiten im sozialen Leben und so etwas aufzuarbeiten. Die Traumatherapie ist eine
Vorbereitung für eine übliche Therapie.
Traumatherapie ist etwas für Patientinnen, die relativ gut wissen, daß sie traumatisiert
worden sind, wenigstens in Umrissen, nicht aber für diejenigen, bei denen der Therapeut
nicht weiterkommt und sagt: »Naja, da muß doch was mit einem Trauma sein.«
Man kann insgesamt sagen, es bewegt sich was, und das ist auch statistisch signifikant. Was
ganz schön ist, daß sich die Symptombelastung verbessert: In der Symptomcheckliste, der
SCL- 90-R, zeigt sich überall eine Verbesserung der Symptome schon bei der Entlassung.
Besonders zwischenmenschlich sind diese PatientInnen etwas dickfälliger, die Depressionen
werden weniger, ebenso paranoide Vorstellungen und Psychotizismus, also das, was ich
heute natürlich lieber als Dissoziativität sehen würde, all das wird deutlich weniger, auch der
Gesamtscore nimmt ab. Das ist ein klares Ergebnis und das, wie gesagt, bei einer Gruppe,
die sehr hoch belastet ist! Da sieht man deutlich, daß die Symptombelastung sehr ausgeprägt
ist. Beim Borderline-Persönlichkeitsinventar BPI zeigt sich, daß es sich phänomenologisch
tatsächlich um Boderline-Persönlichkeitsstörungen handelt. Der Cut - 20 wird eigentlich von
allen bei uns überschritten. Es sind von der Phänomenologie her Borderline-Patientinnen, die
wir behandeln, und auch hier zeigt sich, daß wir die primitiven Abwehrmechanismen, die
primitive Idealisierung oder die primitve Abwertung, nach Innen verlagern können und nicht
mehr im zwischenmenschlichen Bereich haben. Es zeigt sich, daß sich dort Veränderungen
ergeben.
Andere Veränderungen ergeben sich nicht so schnell. Angst vor Nähe z. B.: Die
Patientinnen sind dann nicht plötzlich Leute, die nichts lieber haben, als daß man sie alle
Nase lang kräftig in den Arm nimmt, sondern die anderen Parameter bleiben länger erhalten.
Oft sind noch kurze Kriseninterventionen erforderlich. Wir haben auch ca. 20%
Patientinnen, denen wir nicht haben helfen können, die hinterher weiter zwischen
Psychiatrie-Notaufnahme, mittelfristigen Behandlungen und draußen hin und her gependelt
sind. Daß hinterher keine stationäre Behandlung mehr nötig ist, das erreichen wir bei etwa
2/3 unserer Patientinnen.
Das ist für eine Gruppe von schwergestörten sogenannten »Borderline-Patientinnen« nicht
schlecht.
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